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Wie weiter in der Sahelpolitik?

Zielkonflikte und begrenzte Handlungsoptionen

SWP-Aktuell 2024/A 19, 22.03.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A19

Forschungsgebiete

Die durch Putsche etablierten Militärregime in Mali (2020), Burkina Faso (2022) und Niger (2023) stellen Deutschland und seine europäischen Partner vor Zielkonflikte und Dilemmata. Entsprechend viel Zeit benötigen die Europäer, einen angemessenen Kurs gegenüber den Militärregimen abzustecken. Dabei geht es letztlich um die Frage, ob und welche Kooperationsangebote politisch vertretbar und in ihrer Wirkung aus­sichtsreich sind oder ob eher eine Politik der Isolierung und Konfrontation angezeigt wäre. Der eigent­liche Klärungsbedarf besteht aber vor allem bei der Frage, welche Prob­leme und Ziele vorrangig sein sollen. Geht es darum, Putsch-Regime zurück­zu­drängen, den wachsen­den russischen Einfluss einzudämmen, oder stehen die sicher­heits­poli­tischen Prob­leme der Region selbst im Vordergrund (illegale Migration, Terrorismus, Instabi­li­tät)? Die deutschen und europäischen Handlungsoptionen sind ohnehin schon be­grenzt. Umso wichtiger sind transparente Grundannahmen und klare Ziel­setzungen.

Die aktuelle Sahel-Debatte bewegt sich zwischen zwei Polen: An einem Ende stehen die Verfechter eines harten, un­nachgiebi­gen Kurses gegenüber den Mili­tär­regimen; sie lehnen jede Form der Zusammen­arbeit aus politischen oder grundsätzlichen Grün­den ab. Diese Haltung vertritt Frankreich, das bis auf humanitäre Hilfe sämt­liche Unterstützung eingestellt hat (in abso­luter Konsequenz in Niger). Aber auch Schweden wird seine Entwicklungs­zusam­men­arbeit und humanitäre Hilfe für Mali und Burkina Faso mit Verweis auf die Kooperation zwi­schen den Putschisten und Moskau be­enden. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Italien und Spa­nien, die mit Blick auf die Migrationspolitik für ein fortgesetztes Engagement gegenüber den Putsch-Regie­rungen plädie­ren. Auf deut­scher und euro­päischer Ebene besteht drin­gender Klär­ungs­bedarf bei der Positions­bestim­mung, zumal bereits acht Monate seit dem Putsch gegen Präsident Bazoum in Niger verstrichen sind. Mit ihm verloren die Europäer den letzten Fluchtpunkt und ihren letzten ver­bliebenen Partner unter den Krisen­ländern des Sahel. Niger folgt nun­mehr den Beispielen Mali und Burkina Faso nicht nur hinsichtlich der innenpolitischen Konstellation; zunehmend ist auch außen­politisch eine Nachahmung erkennbar. Es wurde nicht nur der Bruch mit Frankreich, sondern auch mit dem Rest Europas weit­gehend voll­zogen und eine sicherheitspolitische Part­nerschaft mit Russ­land eingegangen.

Militärregime: Unbequeme Akteure

Infolge ihrer Machtergreifung haben die Militärregime Malis, Burkina Fasos und Nigers von großen Teilen der Bevölkerung einen Vertrauensvorschuss erhalten, der vor allem auf dem Prinzip Hoffnung beruht. Die Popularität der Putschisten ist in der Un­fähigkeit mehrerer aufeinanderfolgender Vorgänger­regierungen begründet, die Dauer­krise in dem jeweiligen Land einzuhegen. Man­che Beobachter sehen in den Juntas etwas voreilig Revolutionäre, die die politi­schen Systeme des Sahel grundlegend er­neuern werden. Doch diese Zuschreibung mag sich als Wunschdenken erweisen.

Im Sahel sind Militärs historisch betrachtet schon immer zentrale Akteure in der politischen Arena gewesen und alle Sahel­staaten wurden seit 1960 über lange Zeit­räume von Militärs oder Ex-Militärs regiert. Putsche, die vor dem Hintergrund akuter Krisen stattfanden, waren häufig populär. Die Hoffnung auf positive Veränderungen hat sich allerdings selten bewahrheitet. Gleichzeitig sind dys­funktionale und kor­rupte Fassaden-Demo­kratien diskreditiert und werden von den Bür­ger:innen oft als ur­säch­lich für die Krise des Staates ange­sehen (siehe Mali und Niger). Dennoch tritt der Groß­teil der Bevölkerung nicht not­wendiger­weise für eine dauerhafte Rück­kehr zu dik­ta­torischen Modellen ein.

Die jüngsten Machtergreifungen durch Militärs haben zu den erwartbaren Reaktio­nen der internationalen Partner und der West­afrikanischen Wirt­schaftsgemein­schaft (ECOWAS) geführt. In bewährter Weise griffen sie zu Sanktionen und forder­ten eine Transition mit dem Ziel, zur ver­fassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Während in Mali und Burkina Faso zunächst routinierte Aushandlungsprozesse folgten, hatte die brachiale Dro­hung der ECOWAS, in Niger militärisch zu intervenie­ren, un­vorhergesehene Konsequenzen: Die drei Putsch-Regime haben eine Zweck­allianz gebildet, die gegenüber der ECOWAS und west­lichen Part­nern kompromisslos und isolationistisch agiert. Alle drei Regime weisen Forderungen nach einer Transition zurück, beenden Kooperationsformate und haben ihren Austritt aus der ECOWAS ange­kündigt.

Innenpolitisch ist dieser Kurs erfolgreich – eine popu­listische, auf nationale Souveränität pochende Rhetorik sichert den Put­schis­ten gesellschaftliche Unterstützung. West­liche Staaten und die ECOWAS sind dadurch in das Dilemma geraten, dass sie gegen­über den Putschisten eine auf Prinzi­pien basie­rende prodemo­kratische Linie verfolgen, die aber zumindest kurzfristig von breiten Teilen der Gesellschaften abge­lehnt wird. West­liche Staaten (und erst recht die ECOWAS) haben derzeit in den Sahelländern sehr wenige anschlussfähige, politisch relevante Partner in Staat, Politik und Gesell­schaft. Gleichwohl ist das Stim­mungsbild innerhalb der Gesellschaften möglicherweise weniger eindeutig, als viel­fach angenommen wird. Ein Mangel an poli­tischen Alter­nativen (das heißt dis­kredi­tierte politische Par­teien und Eliten), aber auch die harsche Repression der Put­schisten gegen als un­patriotisch denunzierte Kriti­ker:­innen bedeutet, dass eine schwei­gende Mehrheit existiert, über deren Ein­stellun­gen wenig bekannt ist.

Die Militärregierungen haben den Bruch mit externen Partnern und Unterstützern mit aller Konsequenz vollzogen, mit dem berechtigten Hinweis darauf, dass die bis­herige Unterstützung nicht zielführend gewesen sei. Die malische Regierung hat sich mit der parastaatlichen Söldnertruppe Wagner bzw. mit Russland einen militä­rischen Partner gesucht, der ihren Anforderungen besser entspricht. Diesem Beispiel haben sich Burkina Faso und Niger ange­schlossen, selbst wenn der Umfang der Ko­operation mit Russland dort bislang (noch) geringer ausfällt als in Mali.

Prämissen einer deutschen Positionierung

Das »Problem Sahel« ist nicht verschwunden: Die Problematiken illegale Migration, Instabilität und Terrorismus, die Deutschland und andere Partner seit 2013 zum Engagement im Sahel getrieben haben, sind wei­terhin vorhanden. Auch wenn die tat­säch­lichen Risiken differenziert betrachtet werden müssen, spricht dies für den Ver­such, sich politisch zu engagieren.

Deutlicher denn je ist die strukturelle Krise der staatlichen und politischen Insti­tutionen im Sahel. Externe Forderungen, zur Demokratie zurückzukehren, haben die Popularität der Putschisten eher ge­stärkt als geschwächt. Mittelfristig sind demokratische Verhältnisse unrealistisch. Die Her­stel­lung einer annäherungsweise verfassungsmäßigen Ordnung wäre aber ein erster Schritt, um die Grundlage für politische Dialogfähigkeit im Inneren wie in der Außen­politik zu schaffen.

Der faktische Ausnahmezustand in den drei Ländern bedeutet, dass Menschenrechte, Freiheitsrechte und jeder Anschein von Rechtsstaatlichkeit in der Praxis außer Kraft gesetzt sind. Patriotismus und Bekenntnisse zu den machthabenden Militärregimen sind Pflicht, Abweichler:innen werden scharf sanktioniert. Die Zwangsrekrutierung von Regimegegnern und deren Verbringung an die Front (Burkina Faso), das Verschwindenlassen von Oppositionellen und die massive Einschüchterung kritischer Stimmen sind alltäglich. Missliebige zivil­gesellschaftliche Organisationen werden verboten. Menschen­rechtsverletzungen von beträchtlichem Ausmaß finden zudem im Zuge der Auf­standsbekämpfung statt.

Aus der Kooperation der Sahelstaaten mit Russland kann man für deutsches und europäisches Handeln gegensätzliche Schluss­folgerungen ziehen: einerseits eine europäische Politik, die auf die Isolation der Militärregime abzielt, auf die Gefahr hin, dass sich Russlands Einfluss im Sahel und möglicherweise in der Region an der Süd­flanke Europas ausdehnt; andererseits, dass Kooperationsangebote nötig seien, um poli­tische Kanäle zu öffnen, Russland ein­zu­hegen und im besten Fall Einfluss auf die Entwicklungen vor Ort zu gewinnen.

Plausibel ist, dass die Regime der drei Sahelstaaten nicht überwiegend aus politisch-ideologischer Überzeugung mit Moskau kooperieren, son­dern aus der Not heraus (Sanktionen, Sicher­heitskrise, un­zureichende und ineffektive Hilfe des Wes­tens). Daraus folgt, dass Russ­land kein ex­klusiver Partner ist. Sehr wohl aber ist es aufgrund seines mili­tärischen Engagements ein prioritärer Part­ner, dessen »antiimperialistische« und damit antiwestliche Gesinnung sich überdies innen­poli­tisch gut ver­markten lässt. Daraus können – wie im Fall Mali – Abhängigkeiten ent­stehen, sowohl mit Blick auf die sicherheits­politi­sche Lage (die sich wahrscheinlich nicht verbessert hat) als auch im Hinblick auf die Sicherheit der Putschisten selbst (Regime­sicherheit). Ähnliche Entwicklungen waren in der Zentralafrikanischen Republik zu beobachten.

Umgekehrt haben die Europäer kein Inter­esse an einem Scheitern der Regime, sofern dies mit einer weiteren Verschärfung der Sicher­heitskrise und politischem Chaos ver­bunden ist – es sei denn, man hielte den dauer­haften russischen Einfluss im Sahel für das Hauptproblem, das bedroh­licher für Europa sei als die Externalitäten der Krise selbst.

Die politischen Absichten der Militärs: Ein Einordnungsversuch

Die politischen Intentionen der Militär­regime sind ambivalent. Sie haben sich zu Rettern ihrer Länder erklärt, die eine dezi­diert autoritäre Stabilisierungs- und Reform­politik ins Werk setzen wollen, bei der der Zweck jedes Mittel heiligt. Liberale Prinzi­pien (Demokratie, Menschenrechte, poli­ti­sche Freiheiten) werden dabei als Hin­der­nis betrachtet. Vorrang habe die Lösung der sicherheitspolitischen Krise, haben doch die Sahelstaaten die Kontrolle über weite Teile ihrer Staatsgebiete an jihadistische Gruppie­rungen verloren.

Außen- und sicherheitspolitisch sind die Regime auf russische Unterstützung ange­wiesen, wobei diese keinen klaren Aus­weg aus der sicherheitspolitischen Krise auf­zu­zeigen scheint. In Mali etwa hat der Isla­mi­sche Staat innerhalb eines Jahres seinen Einflussbereich verdoppelt. Zur Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme kann Russland vermutlich noch weniger beitragen. Genau dies könnte aber bedeu­ten, dass die Abhängigkeit der Mili­tärs von russischer Unterstützung eher zunehmen wird, auch wenn Versuche, mit der Türkei und dem Iran zu kooperieren, dies aus­gleichen sollen. Außenpolitisch sind Selbst­bestim­mung und die Emanzipation von westlicher Bevormundung zweifel­los ein glaubhaftes Handlungsmotiv der Mili­tär­regime. Dies hat vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine (»Zeitenwende«) zudem den Vor­teil, dass im Um­gang mit west­lichen Staa­ten die eigene Verhandlungs­macht gestärkt wird. In Zeiten strate­gischen Wettbewerbs erzeugt der Bruch mit west­lichen Ländern für diese näm­lich hohe außen­politische Kosten.

Innenpolitisch ist die Lage ungewisser. Offiziell befinden sich Mali und Burkina Faso weiterhin in einer Transition, die 2024 zu Wahlen führen sollte. In der Praxis haben beide Regime das Vorhaben, qua Wahlen zur verfassungsmäßigen Ord­nung zurückzukehren, bis auf weiteres auf­ge­geben. Die Regierung in Niger hat ihrerseits bisher keine belastbaren politi­schen Ziel­setzungen und programmatischen Ideen vorgelegt. Dies ist insoweit nicht über­raschend, als in Niger das Motiv der Krisen­bewältigung am wenigsten als Erklärung für den Putsch zu taugen scheint.

Die Regime schwimmen dank ihrer Mobi­lisierung nationalistischer Diskurse auf einer populistischen Welle, selbst wenn zu der anfänglichen Euphorie Zweifel an der Problemlösungsfähigkeit und den Metho­den hinzugekommen sind (siehe Mali). Die Abgrenzung zu äußeren und inneren Fein­den bestimmt einen Diskurs, der das Wohl einer imaginierten nationalen Gemeinschaft in den Vordergrund stellt. Die Behaup­tung, im Namen der Bevölkerung zu sprechen und zu handeln, ist die zentrale Argumentationsfigur der Regime. Dass politische Über­zeugungen dabei eine Rolle spielen, schließt nicht aus, dass macht­politische Ambitionen und Herrschafts­ansprüche gleichermaßen wirksam sind.

Die Behauptung der Juntas, den Volks­willen zu vertreten, ist mehr als zweifelhaft. Die Einschränkung der Bürgerrechte bedeutet, dass nur Zustimmung zur Regie­rungspolitik gefahrlos artikuliert werden kann. Mit Ausnahme des Conseil National de Transition (CNT) in Mali, der jedoch offensichtlich an Relevanz verliert, haben die Militär­regime bislang keine eigenen Strukturen und Prozesse politischer Diskus­sion und Teil­habe geschaffen, die auch nur ansatzweise den ver­meint­lichen Volkswillen reflek­tieren würden. Die angekündigten nationa­len poli­ti­schen Dialoge sind mög­licherweise ein Feigenblatt angesichts der eingeschränk­ten politischen Rechte und der erwartbaren politischen Steuerung dieser Dialoge »von oben«.

Die in dieser Hinsicht radikalen Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigen sich an der Entscheidung zum ECOWAS-Austritt, der von keinem der Regime vorab zur Diskussion gestellt wurde. Auch der CNT wurde damit nicht befasst. Vor diesem Hintergrund und den potentiell weitreichenden wirtschaftlichen und poli­tischen Kosten für die drei Länder, ganz zu schweigen von denen für die Millionen von Malier:innen und Burkinabé, die in ECOWAS-Ländern leben, ist die populistische Diktion der Regime nicht nur angreif­bar. Sie wirft überdies die Frage auf, ob die auto­ri­täre Stabilisierungspolitik, zu der sich die Regime bekennen, nicht auch oder sogar zuneh­mend von etwas anderem über­lagert wird: von dem Willen zum eigenen poli­ti­schen Überleben und dem Schutz von Parti­kular­interessen militärischer Eliten. Dafür spre­chen könnte eine immer länger wer­dende Reihe von Entscheidungen, deren ver­bindendes Element darin besteht, sich an inne­ren und vor allem äußeren Feinden ab­arbeiten zu wollen (Frankreich, UN-Mis­sion MINUSMA, Europäische Union, Alge­rien, ECOWAS, USA etc.). Dieser Kurs ist bemer­kenswert kohä­rent und berechenbar.

Ins­gesamt überwiegt das Bild von Regimen, die sich entweder stark radikalisiert haben, sich selbst überschätzen oder haupt­sächlich die eige­nen Partikularinteressen im Blick haben. Ungewiss ist allerdings die Kohäsion der Militärregime. Auch wenn bisher keine offensichtlichen Risse erkenn­bar sind, muss mit regimeinternen Ver­werfungen zumin­dest gerechnet werden. Interne Divergenzen mögen teilweise erklä­ren, warum der ursprüngliche Kurs ver­lassen wurde (die Transition in Mali) oder ein Kurs kaum auszumachen ist (Niger).

Unklare Prioritäten europäischer Sahelpolitik

Beim Umgang mit den Sahelländern besteht im politischen Diskurs Unklarheit über Zweck und Ziele, die deutsche und europäi­sche Politik verfolgen sollte. Deren wich­tigste Aufgabe ist es also, die eigenen An­nahmen zu prüfen, Prioritäten zu setzen, um strategisch handeln zu können. Drei miteinander verknüpfte Prob­leme bestimmen die Debatte:

  1. Der wachsende Einfluss Russlands als Problem: insbesondere dann, wenn er nicht auf ein Land (Mali) beschränkt bleibt, sondern zunehmend eine regionale Dimension an der Südflanke Europas gewinnt, mit allen denkbaren Worst-Case-Szenarien wie Instrumentalisierung (»Weaponization«) von Migration, bewusstes Konterkarieren europäischer Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen sowie Desinformation.

  2. Die sicherheitspolitischen Probleme im Sahel an sich: also die Herausforderungen, die seit 2013 als Begründung für das deutsche und europäische Engagement galten, das heißt Terrorismus, transnatio­nale Konflikte, organisierte Kriminalität, illegale Migration und Instabilität.

  3. Die Putsch-Regime in der Region als Prob­lem: Putsche als Mittel der Politik stehen im Widerspruch zu deutschen und eu­ro­päischen Werten und Prinzipien, die mit der ECOWAS als politischem Partner ge­teilt werden. Hinzu kommt, dass die Metho­den der Putschisten die Probleme (siehe 2.) nicht lösen, sondern vermutlich verschärfen werden. Gleichzeitig werden unter russischem Einfluss deren Exter­nalitäten verstärkt und als Druckmittel gegenüber Europa genutzt (siehe 1.). Damit wird auch das eigentlich positive Merkmal der Regime, das Postulat der starken Eigen­verantwor­tung, entwertet, denn diese führt innen- wie außenpolitisch zu problematischen Ergebnissen.

Aus deutscher und europäischer Perspektive sind die Probleme des Sahel zwar schwer­wiegend, erscheinen aber zumindest kurz­fristig eindämmbar, selbst wenn Europa seit 2013 keine Lösungen für die Region an­bieten konnte. Allerdings lässt sich die Politik der Eindämmung unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr umsetzen. Sie er­for­dert ein Minimum an Zugriffsmöglich­keiten und lokaler Kooperationsbereitschaft, die unter den bislang unnachgiebigen Militärregierungen nicht gegeben ist.

Ausgesprochen relevant ist dabei aus deut­scher und europäischer Sicht die Migra­tions­frage und damit das zentrale Transitland Niger, dessen Junta nicht nur das Koope­ra­tionsabkommen mit der Europäischen Union (EU) zur Bekämp­fung illegaler Migra­tion aufge­kündigt hat. Mit der Annäherung an Russ­land ist wohl auch eine »Weapon­ization« des Themas Migration denk­bar, ja sogar wahrscheinlich. Unter diesen Bedin­gun­gen machen sich Deutschland und die EU von Niger abhängig und erpressbar. Die Aus­sicht dar­auf ist umso plausibler, als von Nigers Regime innen- wie außenpolitisch kein Kurswechsel zu erwarten ist angesichts dessen, dass der Putsch vor allem militärischen Partikular­interessen diente, dass auch acht Monate danach keine andere poli­tische Agenda zu erkennen ist als die des eigenen Machterhalts und – vor diesem Hintergrund schlüssig – eine bis­her un­nachgie­bige Poli­tik nach innen wie außen verfolgt wird (selbst gegenüber den USA).

Die Politik der Eindämmung regionaler Probleme (Migration, Terrorismus, organi­sierte Kriminalität) lässt sich zwar partiell über die Kooperation mit den westafrika­nischen Küstenstaaten weiterführen. Dies löst aber nicht das dringendere Problem an den Nordgrenzen des Sahel in Richtung Europa, denn die politischen Bedin­gungen für Kooperation mit den dortigen Autoritäten (Libyen, Marokko, Alge­rien) sind außer­ordentlich schwierig.

Hauptproblem Putsch-Regime?

Die oben skizzierten Problemfelder der Sahelpolitik hängen miteinander zusammen. Dennoch sollten Berlin und Brüssel versuchen, die Probleme zu gewichten und Annahmen über Wechselwirkungen aus­zubuchstabieren, um zu einer plausiblen Theorie des Wandels zu gelangen, die die eigene Strategie anleiten sollte. Dabei könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Militärregime zwar nur ein Symptom tiefer liegender Probleme sind (Governance, Armut), aber kurzfristig gleichwohl die zentrale Heraus­forderung darstellen, weil sie außenpolitische Selbstisolierung betrei­ben (gegenüber Europa und der eigenen Nachbarschaft) und innenpolitisch keine Lösungen aufzeigen.

Eine offensive und politisch mutige Angebotspolitik seitens Deutschlands und der EU kann nicht zu dem maximalen Ergebnis führen, Russland aus dem Sahel zu verdrängen. Moskaus militärische Hilfe ohne politische Konditionen wird stets Vorrang genießen. Es ist unrealistisch, dass Deutschland und seine Partner militärische und sicherheitspolitische Angebote vor­legen, die über die russische Kooperation hinausgehen. Da helfen auch keine Hin­weise darauf, dass diese Angebote gegenüber der begrenzten (und relativ teuren) russi­schen Hilfe vielseitig und in der Summe überlegen sind (Umfang und Breite von Entwicklungszusammen­arbeit, Stabilisierungsprojekte, potentielle wirtschaftliche Hilfen und Investitionen etc.). Solange Sicherheitsinteressen, inklusive Regime­sicherheit, oberste Priorität für die Regime haben, prallen solche Argumente an den machtpolitischen Realitäten ab.

Es steht zu befürchten, dass außenpolitische Isolierung und russische Unterstützung aus Sicht dieser Regime zunehmend konstitutiv für die eigene Sicherheit sind bzw. werden – jedenfalls in dem Maße, in dem es ihnen nicht gelingt, die Erwartungen der Bevölke­rung bei der Lösung von Problemen zu erfüllen, und wenn im Lauf der Zeit die populistische Feind-Rhetorik ihre Wirkkraft verliert. Das bestmögliche Resultat west­licher Angebotspolitik dürfte darin be­stehen, mit Russland zu koexistieren. Einfluss­nahme auf Regierungspolitik oder auf die Krisen­dynamik in den Sahel­staaten wird man damit wohl noch nicht erlangen. Unabhängig davon, ob als Ziel formuliert wird, den russischen Einfluss zurückzudrängen oder die Krisenspirale zu verlangsamen: Der deutsche und europäische Ein­fluss wird sehr begrenzt sein.

Vor diesem Hintergrund sind die Putsch-Regime aus deutscher und europäischer Sicht wahrscheinlich kurz- und mittelfristig das strategisch schwerwiegendere Problem im Vergleich zum Einfluss Russlands oder der Sahel-Problematik an sich. Ohne diese Re­gime wären die nationalen bzw. regiona­len Probleme zumindest eindämmbar und der russische Einfluss auf die Südflanke Euro­pas wäre überschaubar. Langfristig müs­sen die Prob­leme des Sahel selbst die Prio­rität sein, denn sie sind die Ursache der politisch-institutio­nellen Krisen. Zudem haben sie maßgeb­lichen Anteil daran, dass gesellschaft­liche Gruppen Hoffnungen in das Militär als Prob­lemlöser setzen. Ohne ein Mindestmaß an politischer Teilhabe (auch außerhalb forma­ler Wahlen) und die Konturen eines politi­schen Prozesses und seiner Finalität erscheint diese Hoff­nung indes wenig berech­tigt.

Ausblick und Handlungsoptionen

Weder innen- noch außenpolitisch liefern die drei Sahel-Regime aus deutscher und europäischer Sicht bislang Anknüpfungspunkte für einen politischen Dialog, ge­schweige denn für eine Kooperation. Inhalt­lich wie symbolisch in einem eklatanten Wider­spruch dazu steht, dass infor­mell vor Ort wiederholt geäußert wurde, mit Deutsch­land wolle man durchaus kooperieren. Dies müsste mit belastbaren Signalen und Schrit­ten unterlegt werden. Bislang jedenfalls geht der Trend eindeutig in die andere Richtung.

De facto haben die Europäer keine Hebel, um Regimewechsel zu beschleunigen oder den russischen Einfluss zurückzudrängen. Deutschland und die EU sollten jedoch alles unterlassen, was Regimestabilität fördern könnte. Gleichzeitig ist eine Vielzahl von Szenarien vorstellbar, die zu abrupten poli­ti­schen Veränderungen führen können. Dazu zählen juntainterne Konflikte und weitere Putsche, aber ebenso Machtübernahmen durch neue politisch-militärische Koalitionen oder erneute soziale Protestbewegungen, die angesichts ungebremster Krisen ent­stehen können. Jede dieser Entwicklungen kann politische Veränderungen, Tran­si­tio­nen sowie Kurswechsel bei der Wahl exter­ner Partner mit sich bringen. Die Wahr­schein­lichkeiten und Implikationen dieser Szena­rien sollten für jedes der drei Länder eruiert werden.

Berücksichtigt werden müssten eben­falls mittelfristige Szenarien, die über den Fokus auf Akteur:innen hinaus­gehen. Denk­bar ist nämlich auch, dass eines oder meh­rere dieser Länder permanent auf einen Rumpf­staat zurückgeworfen werden, dessen Auto­ritätsansprüche sich nur noch auf die Haupt­stadt und einige wenige Dist­rikte oder Regio­nen erstrecken. Dies würde Deutschland und die EU mit Blick auf Ziele, Instru­mente und Partner:innen mittelfristig vor neue Herausforderungen stellen.

Kurzfristig sollten Berlin und Brüssel an ihrer Forderung festhalten, dass die drei Länder zu einer ver­fassungsmäßigen Ord­nung zurückkehren, auch wenn Transitions­prozesse keine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen bedeuten werden. Das Etap­pen­ziel lautet, den gegenwärtigen innen- wie außenpolitischen Ausnahmezustand zu überwinden. Die unilaterale Aufhebung eines Großteils der Sanktionen seitens der ECOWAS ist ein Testballon. Er wird zeigen, ob zumindest in Niamey die Bereitschaft zu Verhandlungen und Kompromissen besteht.

Politisch und rhetorisch sollte alles unter­lassen werden, was den Erfolg des innen­politischen Populismus der Militärregime stützen könnte. Das heißt, weitere Zwangs­maßnahmen (Sanktionen etc.) dürften kontraproduktiv sein. Gleichwohl ist es angebracht, mit Blick auf Men­schen­rechte, politische Freiheiten, Rechts­staat­lich­keit und humanitäres Völkerrecht weiter­hin prinzipienorientiert zu argumentieren.

Eine pragmatische Herangehensweise beinhaltet, die Handlungszwänge und die Popu­la­rität der Putschisten nachzuvoll­ziehen. Kurzfristig orientierte Realpolitik in Form politischer Anerkennung durch Deutschland und die EU sowie die ECOWAS und die Afrikanische Union (AU) käme allerdings einer Anerkennung verfassungswidriger Machtergreifungen gleich. Dies könnte zu künftigen Putschen ermuntern, die im Sahel nicht haltmachen werden und deutsche und europäische Erwartungshorizonte noch ungewisser machen. Wenig weist darauf hin, dass die Militärregime innen-, außen und sicherheitspolitischen Fortschritt versprechen.

Diplomatischer Austausch sollte in ange­messenem Rahmen fortgesetzt werden, um Gesprächskanäle offenzuhalten. Deutschland kann hier seine vergleichsweise gute Reputation im Sahel nutzen, darf jedoch seinen Einfluss keinesfalls überschätzen.

Darüber hinaus ist zu empfehlen, laufende Kooperationen oder Projekte – ohne politische Kommunikation – reduziert bzw. auf niedrigem Niveau weiterzuführen, so­lange sie nicht regimestabilisierend wir­ken (etwa Kulturprojekte, Lehrgangsplätze für Offiziere etc.) oder zur Legitimierung der Regime beitragen. Die Entwicklungs­zusammen­arbeit wurde bereits reduziert; es ist ohnehin fraglich, ob sie in der aktu­ellen Lage flächendeckend Ergebnisse erzielen kann. In den Ländern, in denen es möglich ist, sollte in begrenztem Umfang »regie­rungs­ferne« Kooperation mit nicht­staat­lichen Akteur:­in­nen versuchen, kri­ti­sche Dis­kus­sio­nen und Diskurse zu för­dern.

Sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit bietet hingegen unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen wahrscheinlich keine Einwirkungsmöglichkeiten, sofern von den Putsch-Regimen selbst keine Kompromissbereitschaft aus­geht. Niedrig­schwellige Ertüchtigungs­projekte können als Zeichen von Kooperations­bereitschaft dienen, um mit den Regie­rungen im Ge­spräch zu bleiben; politischen Einfluss wer­den sie nicht generieren. Das dürfte auch dann nicht der Fall sein, wenn die Bundeswehr den Standort Niamey er­hielte. Vielmehr könnte es passieren, dass umgekehrt neue Abhängigkeiten für Deutsch­land entstehen, wenn der Bundeswehrstandort weiter betrieben würde, unge­achtet der Frage, welche Funktion er erfül­len soll.

Unter dem AU-Vorsitz Mau­re­taniens, das nicht Mitglied der ECOWAS ist, ergeben sich möglicherweise neue Spiel­räume für afrika­nische Vermittlungsversuche. Diese sollten unterstützt werden.

Dr. Denis M. Tull ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

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