Megatrends sind aus der öffentlichen Debatte nicht mehr weg zu denken. Jedoch fehlt oft ein tieferes Verständnis, worum es sich bei diesem Konzept eigentlich handelt. Hier widmen wir uns dem Phänomen Megatrend und beschreiben, wie das Konzept dazu beitragen kann, die Transformation afrikanischer Gesellschaften besser zu verstehen.
Immer häufiger wird in der öffentlichen Debatte auf sogenannte Megatrends und ihre Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verwiesen. Auch in der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit nimmt der Begriff eine zunehmend wichtige Rolle ein. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Konzept selbst bleibt jedoch zumeist aus.
Vielmehr beschäftigen sich Wissenschaft und Politik mit einzelnen Megatrends und deren Bedeutung für die globale Entwicklung. Dazu zählen Urbanisierung, Klimawandel, demographischer Wandel, Digitalisierung, wirtschaftliche und politische Verschiebungen der bestehenden Weltordnung und jüngst auch die globale Gesundheit. Sie werden in der Literatur als jene Megatrends beschrieben, von denen die größten Auswirkungen zu erwarten seien – insbesondere für Afrika.
Um jedoch den notwendigen Schritt von der Beschreibung hin zur Analyse gehen zu können, bedarf es einer robusten Definition, welche eine Abgrenzung zu anderen Phänomenen ermöglicht.
Der Begriff „Megatrends“ ist durch den Zukunftsforscher John Naisbitt populär geworden, der 1982 den Bestseller “Megatrends: Ten New Directions Transforming Our Lives“ veröffentlichte. Naisbitt beobachtete den aufkommenden Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft und von der nationalen hin zur globalen Ökonomie. Er suchte ein Konzept, um diese übergreifenden Entwicklungen adäquat abzubilden. Naisbitt hebt in seinem Werk insbesondere die Dauer und Intensität von Megatrends hervor, wenn er feststellt:
„diese großen sozialen, ökonomischen, politischen und technologischen Veränderungen entfalten sich langsam und üben - wenn sie erst einmal wirksam geworden sind - ihren Einfluss eine Zeitlang auf uns aus: zwischen sieben und zehn Jahren oder länger. Sie sind an Umfang und Intensität das, was ein Jahrzehnt an Veränderung leisten kann.“ (eig. Übersetzung)
Auch neuere Definitionen bauen auf diesen grundsätzlichen Charakteristika auf. So beschreibt das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main Megatrends als „Lawinen in Zeitlupe“. Sie spiegeln komplexe, gesamtgesellschaftliche Veränderungsdynamiken globalen Ausmaßes wider, die sich langsam aber langfristig entfalten.
Neben der langen Laufzeit werden als Merkmale zudem Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens (Ubiquität), der globale Charakter und die Komplexität der Trends als Merkmale angeführt. In einer von der EU in Auftrag gegebenen Studie wird zudem die Unumkehrbarkeit (Irreversibilität) als essentielles Merkmal betrachtet.
Merkmale von Megatrends
Welche Transformationsprozesse nun genau in diesen Kriterienkatalog passen, ist nicht eindeutig und abschließend feststellbar. Analysten sind sich einig, dass es sich bei dem Klimawandel, Urbanisierung, Digitalisierung und dem demographischem Wandel um Megatrends handelt.
Weniger Einigkeit herrscht bei Phänomenen wie der Migration, Demokratisierungs- und Autokratisierungsprozessen, dem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft oder der Verschiebung ökonomischer und politischer Macht hin zu neuen Akteuren wie China und Indien. Andere Trends sind nicht eindeutig von globalem Ausmaß, sind aber auf der Ebene des afrikanischen Kontinents strukturbildend wie etwa regionale Integrationsprozesse oder die Ausbreitung politischer, insbesondere religiös motivierter Gewalt. Die Interaktion von Megatrends mit diesen Entwicklungen schafft eine zusätzliche Ebene der Komplexität.
Themenfeld
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Globale Megatrends |
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Megatrends in Africa |
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Horx et al. 2018 |
PwC (2016) |
KPMG (2014) |
Roland Berger Institute (2020) |
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2021) |
Vastapuu et al. (2019) |
AUC/OECD (2018) |
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Gesellschaft |
Silver Society (demographischer Wandel)
Wandelnde Geschlechterrollen
Individualisierung
Wissenskultur
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Demographische Verschiebungen |
Demographie, Aufstieg des Individuums |
Menschen und Gesellschaft (Bevölkerung, Migration, Werte, Bildung) |
Demographischer Wandel
Soziale Ungleichheit und neue Mittelschichten |
Bevölkerungswachstum
Migration |
Demographisches Wachstum |
Umwelt |
Neo-Ökologie
Mobilität |
Klimawandel und Ressourcenknappheit |
Klimawandel und Ressourcenverknappung |
Umwelt und Ressourcen (Klimawandel und Verschmutzung, Ressourcen und Rohstoffe, gefährdete Ökosysteme) |
Klimawandel und Ressourcenknappheit |
Klimawandel |
Klimawandel |
Urbanisierung |
Urbanisierung |
Fortschreitende Urbanisierung |
Urbanisierung |
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Verstädterung |
Urbanisierung |
Der städtische Wandel |
Technologie |
Konnektivität |
Aufkommen neuer Technologien |
Ermöglichende Technologie |
Technologie und Innovation (Wert von Technologie, KI, Mensch und Maschine) |
Digitalisierung und Wissensgesellschaften |
Technologische Entwicklungen |
Die neue Produktionsrevolution |
Wirtschaft |
Globalisierung
New Work |
Verschiebung der globalen Wirtschaftskraft |
Wirtschaftliche Machtverschiebung, Wirtschaftliche Verflechtung, Staatsverschuldung |
Wirtschaft und Unternehmen (Machtverschiebungen, Verschuldungsproblematik, sektoraler Wandel, Globalisierung im Wandel) |
Globalisierung und Regionalisierung |
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Vermögensverschiebung (neue Partnerschaften) |
Politik |
Sicherheitspolitik |
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Politik und Governance (Zukunft der Demokratie, Governance & Geopolitik, Globale Risiken) |
Geopolitische Machtverschiebungen |
Demokratisierung |
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Gesundheit |
Gesundheit |
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Gesundheit & Pflege (Pandemien, Krankheiten & Behandlungen, Pflege) |
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Die meisten Megatrends sind von globaler Bedeutung und betreffen auch den afrikanischen Kontinent in besonderem Maße:
Die zehn Länder mit der weltweit durchschnittlich höchsten Geburtenrate finden sich alle in Afrika. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass die afrikanische Bevölkerung bis 2050 von 1,3 Milliarden auf knapp 2,5 Milliarden Menschen anwachsen wird. Die gleichzeitige Verjüngung der Bevölkerung bedeutet auch, dass im Jahr 2034 mehr Erwerbstätige in Afrika als in China und Indien leben werden.
Gleichzeitig hat Afrika die höchste Urbanisierungsrate der Welt. Gründe für die rasche Urbanisierung sind einerseits das Bevölkerungswachstum, zum anderen aber auch der Klimawandel. Prognosen der Weltbank über interne Migrationsbewegungen für Afrika gehen davon aus, dass – durch die Kombination aus demographischem Wandel, Klimawandel und Urbanisierung – im Jahr 2050 bis zu 86 Millionen Menschen innerhalb ihres Landes migrieren werden. Grenzüberschreitende Migrationsbewegungen sind hier noch nicht berücksichtigt.
Auch im Bereich der Digitalisierung gibt es auf dem Kontinent noch große Herausforderungen. Durch großangelegte Infrastrukturmaßnahmen und die Verbreitung von Mobilfunkgeräten ist die Anzahl der Internetnutzer*innen zwar stark angestiegen. Trotzdem ist Afrika weiterhin der Kontinent mit dem geringsten Zugang zu mobilem Breitbandnetz. Gleichermaßen bietet die Digitalisierung gerade für den großen Anteil der jungen Bevölkerung ungemeine Chancen für die weitere Entwicklung individueller Kompetenzen, politischer Teilhabe und ermöglicht die Teilhabe und aktive Mitgestaltung globaler Märkte.
Dieser kurze Abriss verdeutlicht, dass die Herausforderung in Bezug auf Megatrends in ihrem Interaktionspotenzial liegt. Megatrends können auf dynamische Weise miteinander interagieren. Somit können sie Effekte hervorrufen, die nicht nur stärker in ihrer Ausprägung sind, sondern auch aufgrund der fehlenden direkten Verbindung zwischen Ursache und Wirkung unerwartet erscheinen.
Als Heuristik für Megatrends könnten Strukturen im Sinne Anthony Giddens dienen. Strukturen, ebenso wie Megatrends, sind nicht nur Grundlage, sondern gleichzeitig Ergebnis menschlichen Handelns. Struktur und Handeln konstituieren sich in einem dynamischen Prozess. Sie sind verbunden durch Diskurs und Praxis, die Giddens als Dualität der Struktur bezeichnet. Dieser dynamische Prozess reproduziert unsere Weltordnung, gar das gesamte menschliche Sein. Da sich jedwedes Handeln menschlicher Akteure nur in der Dualität mit Strukturen verstehen lässt, dienen Megatrends als wichtige Wegweiser für Forschungsagenden und politisches Handeln.
Ein Verständnis dieser einzelnen, wenngleich miteinander verknüpften, Strukturen ist essentiell um Anpassung und teilweise Steuerung der Megatrends zu ermöglichen. Unser Projekt Megatrends Afrika leistet hier einen wichtigen Beitrag, indem es in drei verschiedenen Themenfeldern – Konflikte, Staatlichkeit und Gewaltakteure (1), Megatrends und politische Herrschaft (2), neue externe Akteure (3)- Forschung zu Megatrends, deren Interaktionen sowie Auswirkungen auf politische, soziale und wirtschaftliche Prozesse betreibt.
Gesellschaften und politische Entscheidungsträger müssen nicht nur trotz, sondern gerade wegen der Irreversibilität der Trends Gestaltungsmöglichkeiten identifizieren. Nur so können negative Folgen abgemildert und Chancen ermöglicht werden. Die lokalen Auswirkungen der Trends, die durch globale Wechselwirkungen entstehen, erfordern konzertiertes und partnerschaftliches politisches Handeln. Die deutsche Afrikapolitik kann hier in Abstimmung mit der Europäischen Union einen wichtigen Beitrag leisten, gemeinsam mit afrikanischen Regierungen eine gemeinwohlorientierte Zukunft zu gestalten.