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VN-Peacekeeping in Mali

Anpassungsbedarf für das neue Minusma-Mandat

SWP-Aktuell 2019/A 23, 18.04.2019, 4 Seiten

doi:10.18449/2019A23

Forschungsgebiete

Am 30. Juni 2019 endet das Mandat der United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (Minusma). Eine Verlängerung des Mandats durch den VN-Sicherheitsrat gilt als sicher. Dabei ist unklar, welchen Beitrag die Mission zur Stabilisierung Malis zu leisten vermag und wie das Mandat geändert werden könnte, um die Mission effektiver zu gestalten. Angesichts der sich verändernden Rahmen­bedingungen in Mali sollte der Sicherheitsrat ein stärkeres Minusma-Engagement in Zentralmali erwägen. Dafür müssen aber auch Abstriche im Norden gemacht werden.

Die seit 2013 laufende VN-Mission hat ak­tuell eine Personalstärke von 15 365 und ein Budget von rund 1 Milliarde US-Dollar. Strategische Priorität ist es, die Umsetzung des 2015 unterzeichneten Friedensabkom­mens von Algier zwischen Regierung und nordmalischen Rebellen (Coordination des mouvements de l’Azawad, CMA) zu unter­stützen. Konkret geht es dabei um die Her­stellung staatlicher Autorität in Nordmali, den Aufbau einer neuen institutionellen Architektur des malischen Staates, die Sicher­heitssektorreform, die Demobilisierung von 

Kombattanten sowie um nationale Ver­söhnung. Weitere Ziele sind der Schutz von Zivilpersonen sowie Vertrauensbildung und Moderation nationaler und lokaler Dialog­prozesse. Terrorismusbekämpfung ist keine Mandatsaufgabe. Terroristische Anschläge schränken jedoch Minusmas Fähigkeit ein, ihr Mandat auszuführen.

Die Mandatsverlängerung kann und sollte kein Selbstläufer sein. Zum einen üben die USA großen Druck aus, um eine Verringerung des Budgets für VN-Friedensmissionen zu erwirken. Zum anderen geben die Ent­wicklungen in Mali Anlass, das Minusma-Mandat eingehend zu überprüfen. Im Fokus stehen dabei der Friedensprozess und die sich verschlechternde Sicherheitslage.

Malische Problemlagen

Die Umsetzung des Algier-Abkommens ist seit 2015 kaum vorangekommen, auch wenn in den letzten Monaten einige Fort­schritte erzielt worden sind, und zwar bei der Demobilisierung von Kombattanten und der Einrichtung der Übergangsverwaltungen auf Distriktebene in Nordmali.

Seit geraumer Zeit liegt der Konflikt im Norden auf Eis. Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien finden nicht mehr statt. Die Gewalt im Norden geht überwie­gend auf das Konto von Jihadisten unter dem Dach der Groupe de soutien à l’islam et aux musulmans (GSIM), die unablässig die Vertragsparteien von Algier (Regierung und CMA) und Minusma ins Visier nehmen. So verloren beispielsweise am 20. Januar 2019 zehn Blauhelme bei einem Angriff auf das Minusma-Camp in Aguelhok ihr Leben.

Der Friedensprozess, verstanden als poli­tische und sicherheitspolitische Eingliederung nordmalischer Eliten in den Staat, ist fragil und umkehrbar, wird aber mittlerweile auf beiden Seiten als notwendig an­erkannt. Finanzielle und materielle Anreize als sogenannte Friedensdividende tragen dazu bei, die Situation im Norden auf nied­rigem Niveau zu stabilisieren. Die Kooperation zwischen CMA und Regierung bei den Präsidentschaftswahlen 2018 war ein ein­drückliches Beispiel dafür, dass es bei dem Konflikt vor allem um die Interessen von Eliten geht, die sich durchaus wechselseitig ausgleichen lassen. Neben Sicherheit für den Urnengang sorgte die CMA für ein überwältigendes Votum zugunsten von Amtsinhaber Ibrahim Boubacar Keïta.

Bedenklicher als die Situation im Norden ist jene in den Regionen Mopti und Ségou in Zentralmali, wo sich die Gewalt zu­neh­mend Richtung Südwesten (Region Kouli­koro) ausweitet und die Grenzen zu Niger und Burkina Faso zudem längst über­schritten hat. Vereinfacht lassen sich hier zwei Treiber unterscheiden, die eng mitein­ander verflochten sind: interethnische Ge­walt sowie jihadistische Gewalt gegen den Staat und dessen Unterstützer (Minusma).

Der erste, wichtigste Typus ist Gewalt gegen Zivilisten, die vor allem Milizen der Volksgruppen Dogon und Peul ausüben. Selbstschutz, Rache, Kriminalität und Kon­flikte um knappe lokale Ressourcen fachen diese Gewalt an. Seit etwa zwei Jahren kommt es in der Region Mopti regelmäßig zu Gräueltaten bei Angriffen auf Dorf­gemeinschaften, bei denen nach VN-Anga­ben allein in den letzten 12 Monaten rund 600 Menschen zu Tode kamen und Tau­sende vertrieben wurden. Im Januar und Februar 2019 fanden 70% aller malischen Menschenrechtsverletzungen in Zentralmali statt. Am 23. März wurden in Ogossagou (Region Mopti) 160 Peul angeblich von einer Dogon-Miliz massakriert.

Die zweite Kategorie von Gewalt geht von der jihadistischen Katiba Macina aus, die Teil der GSIM ist. Sie richtet sich weni­ger gegen Zivilisten als vielmehr gegen die Sicherheitskräfte und die Minusma. Die Zahl der Attentate in Zentralmali, bei denen im­provisierte Sprengfallen eingesetzt wurden, hat sich zwischen 2017 und 2018 auf 97 mehr als verdreifacht. Hinzu kommen Ge­waltakte gegen Vertreter der staatlichen Ord­nung (Administratoren, Lehrer, Dorf­chefs etc.), mit denen die Jihadisten die be­reits ausgedünnte und ineffektive staatliche Präsenz weiter zurückdrängen. In der Region Mopti sind nur noch zwischen 30 und 40% der staatlichen Territorialverwaltung prä­sent, lediglich 1300 Sicherheitskräfte sind in der weitläufigen Region (79 000 km2) sta­tioniert, mehr als 500 Schulen geschlossen.

Die Jihadisten instrumentalisieren lokale interethnische Konflikte, um Sympathisanten und Rekruten zu gewinnen. Dabei wird die Ethnisierung durchaus unterschiedlicher Konflikte forciert, die Stigmatisierung eines Teils der Gesellschaft (Peul) als »Jihadisten« vorangetrieben. Unterdessen kommt der Staat seinen Aufgaben nicht nach oder wird als repressiv und parteiisch wahrgenommen. Nicht wenige Beobachter sind der Auffas­sung, dass die Armee zumindest bis Ogossa­gou die Dogon-Miliz unterstützt hat, zu­min­dest aber gewähren ließ. Der von der Regierung 2017 ausgerufene »Plan zur in­tegrierten Sicherung der Regionen Zentral­malis« (Plan de Sécurisation Intégrée des Régions du Centre, PSIRC), den auch die Europäische Union unterstützt, hatte bis­lang keine greifbaren Ergebnisse. Von der »gemeinsamen Truppe« der G5-Sahel-Staa­ten (G5-FC), die seit dem Angriff auf Sévaré im Juni 2018 kein Hauptquartier mehr hat, sind auf absehbare Zeit keine substantiellen Beiträge zu erwarten.

Die Rolle der Minusma

In diesem vielschichtigen Kontext sind Nutzen und Effektivität der Minusma um­stritten. Im vergangenen Jahr bot die vom VN-Generalsekretär in Auftrag gegebene »Strategic Review« die Chance, die Rolle der Mission auszuleuchten. Doch wurde sie weder veröffentlicht, noch hatte sie Aus­wirkungen auf das Mandat. Die öffentliche Meinung in Mali steht der Mission sehr kri­tisch gegenüber. Sie moniert deren Passivi­tät und die Tatsache, dass den Blauhelmen die eigene Sicherheit wichtiger ist als der Schutz der Zivilbevölkerung. Die Regierung indes erliegt gelegentlich der Versuchung, die Mission als Sündenbock für ihr eigenes Versagen zu nutzen. Mittlerweile hat sie aber erkannt, dass Minusma ihr mehr Vor­teile als Nachteile bringt. Die Präsenz der Mission ist ein wichtiger Faktor bei der Mobilisierung internationaler Hilfe.

Viele Diplomaten in Bamako sind prinzipiell Minusma-freundlich eingestellt und heben die politische Vermittlungsfunktion der Mission und ihres Leiters Mahamat Saleh Annadif positiv hervor. Allgemein wird der Mission ein eher diffuser Stabilisierungsbeitrag zugeschrieben. Dabei gilt die weder eindeutig zu beweisende noch zu widerlegende These, dass die Lage ohne Minusma weitaus schlechter wäre. Dies besagt aber letztlich nur, dass Minusma die Verschlechterung der Sicherheitslage, die allenthalben konstatiert wird, nur drosselt, aber nicht stoppt.

Zweifellos arbeitet Minusma in einem extrem schwierigen und feindlichen Um­feld. Rund die Hälfte aller seit 2013 welt­weit getöteten Blauhelme hat ihr Leben in Mali verloren, die meisten davon im Nor­den. Indes muss Minusma einen unerhört großen militärischen und logistischen Auf­wand treiben, um im Norden präsent zu sein. Die Sicherheitsvorkehrungen, die ihr dort abverlangt werden, binden knappe Ressourcen, die für die Ausführung des eigentlichen Mandats nicht zur Verfügung stehen. Rund 80% ihrer militärischen Res­sourcen gehen in die Sicherung der eigenen Infrastruktur und der Konvois, auf die die Mission angewiesen ist, um ihre Basen zu versorgen. Die Einsatzbeschränkungen (Caveats) der verschiedenen nationalen Kon­tingente, darunter solche der Bundeswehr, und ein Mangel an Transportmitteln (Heli­kopter und gepanzerte Fahrzeuge) machen ein Ausgreifen der Mission in die Fläche unmöglich. Minusma ist eher Zielscheibe als Stabilitätsanker, und sie stabilisiert allenfalls dort, wo sie physisch unmittelbar präsent ist (Gao, Kidal, Timbuktu etc.). Im Umkreis der Stützpunkte entstehen nur klein­räumige Sicherheitsblasen.

Handlungsoptionen

Mögliche Justierungen des Mandats müssen von der Prämisse ausgehen, dass Minusma bei der Regelung des Konflikts in Nordmali weiterhin einen politischen und technischen Beitrag leistet. Ihre über 2000 Blauhelme spielen aber zumindest für die Sicherheit im äußersten Norden (Sektor Nord: Tessalit, Aguelhok und Kidal) nur eine marginale Rolle. Effektivität und Effizienz der knap­pen militärischen Ressourcen sind dort relativ gering, zumal die Mission weder Aufstands- noch Terrorismusbekämpfung betreiben kann. Politische Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensabkommens be­dingen keine umfassende militärische Prä­senz im nördlichen Sektor. Aus politischer, geographischer und demographischer Sicht ist Zentralmali für die Stabilisierung des Landes heute eine mindestens ebenso große Herausforderung wie der Norden.

Daher wäre es ungeachtet der politischen Flankierung des Friedensprozesses sinnvoll, das militärische Engagement im nördlichen Sektor zugunsten eines stärkeren Engagements in der Region Mopti zu reduzieren, wo es einen höheren Mehrwert schafft. Der militärische Teil der Mission ist in Zentralmali bislang kaum präsent. Drei Prioritäten könnten dabei ins Auge gefasst werden: erstens der Schutz der Zivilbevölkerung (Protection of Civilians, PoC); zweitens, so­fern erwünscht, die Unterstützung natio­naler und regionaler Konfliktregelungs­mechanismen und drittens Stabilisierungs­maßnahmen auf Grundlage einer deutlich ambitionierteren Zusammenarbeit zwischen militärischem und zivilem Missionsanteil, anderen VN-Organisationen und der mali­schen Regierung. Solange Gastland und VN beim Stabilisierungsvorhaben Zentralmali nicht an einem Strang ziehen, wäre ein grö­ßeres VN-Engagement in der Region sinn­los. Elementare Voraussetzung ist freilich die Nachfrage der malischen Regierung nach einer stärkeren, auch militärischen Präsenz von Minusma in Zentralmali. Bamako hat dies bis vor kurzem noch abgelehnt. Die sich verschärfende Krise und die internatio­nalen Reaktionen auf das Ogossagou-Massa­ker dürften indes die Einsicht bestärkt haben, dass externe Hilfe nötig ist.

Eine massivere Präsenz des militärischen Teils von Minusma sollte nicht nur der Ver­besserung der Sicherheitslage dienen. Sie sollte auch Räume schaffen, in denen die zivilen Sektionen der Mission, Hilfsorganisationen und nicht zuletzt der malische Staat aktiv werden können, dessen Rück­kehr es zu unterstützen gilt (Polizei, Justiz, Verwaltung, Lehrer etc.). Dabei sollte ver­mieden werden, in die Falle der Staats­substitution zu tappen. Der Staat ist zwar Teil des Problems. Ohne und gegen ihn wird es aber keine tragfähigen Lösungen geben. Um die malischen Sicherheitskräfte zu unterstützen und gleichzeitig Übergriffen vorzubeugen und die Einhaltung der Menschenrechte zu wahren, sollte Minusma gemeinsame Operationen mit der Armee in Betracht ziehen. Auch eine einsatzbeglei­tende Unterstützung (Mentoring) wäre ein denkbares Mittel. Für den Norden wurde ein solches Vorgehen bereits mandatiert (VN-Resolution 2423 [2018]), aber nie umgesetzt.

Denn die wesentliche Frage bleibt, welche Anreize die internationalen Partner geben können, um den Staat zu bewegen, seine Verantwortung übernehmen. Ein An­fang wäre ein Instrumentarium, das Hilfe an die Umsetzung konkreter Maßnahmen und Fahrpläne im Rahmen eines verbesserten PSIRC knüpft.

Die vorgeschlagene Anpassung des Man­dats wird nicht alle Probleme lösen. Minus­ma wird auch weiterhin Zielscheibe von Angriffen sein. Mit mehr Personal und stär­kerer Präsenz in Zentralmali wird es wahr­scheinlicher, dass feindliche Angriffe zu­nehmen. Zudem wird Minusma auch mit mehr Truppen nicht in der Fläche, sondern nur an wenigen Lokalitäten präsent sein können. Eine Fokussierung auf ausgewählte Krisendistrikte ist unausweichlich.

Ausblick

Die aktuellen Entwicklungen in Zentral­mali unterstreichen, was manche Beobachter und Diplomaten in Bamako schon seit einiger Zeit vertreten: Es ist wenig hilfreich, die multiplen Konfliktlagen in Mali vor­nehmlich durch das Prisma des Terroris­mus bzw. der Terrorismusbekämpfung zu betrachten. Dabei sind sie – neben der Migrationsfrage – der Hauptgrund für das große internationale Engagement in Mali. Begriffe wie soziale Revolte, Aufstand und Bürgerkrieg bilden die Realität zweifellos besser ab. Jihadistische Gewalt ist eine Her­ausforderung, nicht zuletzt für die mali­schen Streitkräfte und Minusma. Sie ist aber nicht die primäre Bedrohung für die Zivilbevölkerung, weder im Norden noch im Zentrum. Wer den Fokus zu sehr auf den Terrorismus legt, übersieht die Kon­turen der politischen Problemursachen: den eklatanten Mangel an staatlicher Autorität und Legitimität, Rechtsstaatlichkeit und menschlicher Sicherheit. Mit der Fixierung auf Terrorismus bedient die malische Regie­rung nicht nur die Besorgnisse westlicher Partner, sie nutzt diese Fixierung auch da­zu, ihre eigenen Fehler und Versäumnisse zu kaschieren, und dies mit relativ großem Erfolg. Im Schatten der Terrorismusbekämp­fung entstehen Räume, in denen nationale und lokale malische Akteure die Probleme aussitzen oder ihre eigene Agenda verfol­gen. Das Massaker von Ogossagou sollte Malis internationalen Partnern Anlass geben, diese Zusammenhänge schärfer in den Blick zu nehmen.

Dr. Denis M. Tull, Wissenschaftler in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika, ist derzeit als Wissenschaftler am Institut de Recherche Stratégique de l’École Militaire (IRSEM) in Paris.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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ISSN 1611-6364