Policy Workshop IV: Nach der Wahrheit. Welchen Einfluss hat Desinformation in Afrika?
Megatrends Spotlight 2022 19, 19.12.2022Immer häufiger bestimmt Desinformation unsere politischen Diskurse. Großangelegte Kampagnen nehmen Einfluss in Ländern wie Uganda, Sudan und Mali. Besonders die Einmischung Russlands wird problematisiert. Im vierten Policy Workshop von Megatrends Afrika haben wir darüber diskutiert, welchen Einfluss Desinformation tatsächlich hat und wie ihr entgegenzutreten ist.
Vielerorts fällt auf: Im post-truth Zeitalter wird deutlich anders kommuniziert, auf politischer wie auf gesellschaftlicher Ebene. Wesentlich emotionaler und ohne Rücksicht auf Fakten. Der afrikanische Kontinent bildet keine Ausnahme. Immer öfter greifen heimische politische Akteure und externe Kräfte auf Falschinformationen zurück. Großangelegte Kampagnen nehmen politischen Einfluss in Ländern wie Uganda, Sudan und Mali. Besonders die Einmischung von russischer Seite wird von Desinformations-Expert*innen und Entscheidungsträger*innen häufig problematisiert.
Belastbares Wissen über den tatsächlichen Einfluss dieser Kampagnen ist noch relativ gering. Die gesellschaftliche Wirkung von Desinformation zu messen ist eine methodische Herausforderung. Auch die Frage bleibt offen, wie Desinformation wirksam entgegenzutreten ist – durch Journalist*in, Tech-Unternehmen, Regierungen? Diesen Fragen widmete sich der letzte Policy Workshop im Jahr mit Expert*innen und politischen Entscheidungsträger*innen.
Desinformationen verbreiten sich dort, wo Informationen fehlen. Die Online-Welt hat nun überall neue Möglichkeiten eröffnet, Berichterstattung und Informationen zu konsumieren: schneller, öfter mit internationaler Reichweite. Das erschwere die traditionelle Unterscheidung zwischen Journalist*innen einerseits und Aktivist*innen bzw. Interessensvertreter*innen andererseits. Beide Seiten veröffentlichten Informationen, doch Framing und Qualität variieren. Gerade für Qualitätsjournalismus sei dieses veränderte Wirkungsumfeld eine Herausforderung.
Dabei ist Desinformation kein reines Online-Phänomen. Es verbreite sich sowohl offline als auch online, die öffentliche Auseinandersetzung damit finde aber oft lediglich über die sozialen Netzwerke statt.
Gerade in afrikanischen Kontexten greift diese Sichtweise zu kurz. Die digitale Revolution ist noch nicht omnipräsent, und der allgegenwärtige Fokus auf Internet-basierte soziale Medien übersieht die anhaltende Bedeutung traditioneller Medien, insbesondere des Radios. Eine Studie der Fondation Hirondelle zeigt, dass in Mali, Niger, Burkina Faso, der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), der Demokratischen Republik Kongo und Madagaskar weiterhin das Radio den Markt bestimmt. Das Medium genieße am meisten Vertrauen. Viele Bürger*innen beziehen ihre Informationen hauptsächlich über lokale Sender.
Dies sei auch auf die nichtausreichende Verbreitung des Internets und der elektrischen Versorgung zurückzuführen. In der ZAR haben etwa 14,3 Prozent der Bürger*innen Zugang zu Strom. Immer mehr nutzten zwar das Internet. Doch ihnen gehe es darum, sich mit anderen zu vernetzen und in Kontakt zu bleiben – nicht darum, sich über etwas zu informieren.
Oft sind es Großereignisse wie Wahlen oder eben eine weltweite Pandemie, die der Desinformation die Tür öffnen. Solche Situationen brächten immer auch Polarisierung und radikale Meinungen off- wie online mit sich. Im digitalen Raum setzten sich dabei bestehende soziale Ungleichheiten fort.
Unterdessen entziehe der kostenfreie Zugang zu allerlei Informationen vielen Journalist*innen die finanzielle Grundlage. Auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene zeigten sich negative Effekte: im Jahr 2021 kam es zu 182 Internet-Shutdowns in 34 Staaten weltweit. Weitere Problem sind der mangelnde Datenschutz, die Überwachung der Bevölkerung und Cyberattacken.
Auf legislativer Ebene reagieren viele afrikanische Staaten mit harten Maßnahmen. Sie verbieten Desinformation per Gesetz, nutzen das dann aber oft als juristischen Hebel, um die Meinungsfreiheit zu begrenzen.
Doch abseits der Risiken und negativen Trends eröffnen sich auch neue Möglichkeiten: immer öfter würden Nachrichten über neue Konfliktentwicklungen in Echtzeit verbreitet. Das erleichtert die Konfliktanalyse und erhöht die Chancen, frühzeitig vor Eskalationen warnen zu können. Inzwischen seien mehr lokale Journalist*innen Teil internationaler Mediennetzwerke und könnten ihre Geschichten einer größeren Zielgruppe zugänglich machen.
Bei der politischen Mobilisierung kommt den sozialen Netzwerken inzwischen immer mehr eine Schlüsselfunktion zu. Gerade bei Wahlkampagnen wie in Nigeria, wo im Jahr 2023 Präsidentschaftswahlen anstehen. Twitter und Facebook erlebten hier seit einiger Zeit starken Zulauf. Auf diesen Trend reagieren Nigerias Parteien, die nach effektiven Strategien suchen, um potenzielle Wähler*innen für sich zu gewinnen. Politische Mobilisierung über das Internet kann sowohl positive wie negative Auswirkungen haben. Im besten Fall teilten Bürger*innen ihre Sorgen und Wünsche öffentlich mit und beteiligen sich an politischen Entscheidungsprozessen.
Doch es gäbe auch negative Mobilisierung: Desinformation und Propaganda werden auch verwendet, um Angst zu schüren oder politische Opponenten zu diskreditiert. Im Fall von Nigeria sei die große Menge an Social Bots auffällig, die als menschliche Nutzer*innen auftreten. Sie sorgten dafür, dass bestimmte Hashtags trendeten. Kandidat*innen konnten ihre Follower*innen-Zahl in kurzer Zeit verdoppeln.
Auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Uganda 2021 verfolgte die Museveni Regierung eine Desinformations-Kampagne, die die Wiederwahl des Präsidenten fördern sollte. Etwa 450 sogenannte „inauthentic assets“ (Fake-Accounts und -Gruppen) wurden auf Facebook und Instagram identifiziert, die sich für Museveni selbst oder seinen Sohn einsetzten. Oppositionsführer Bobi Wine wurde von ihnen mit unterschiedlichen Falschinformationen angegriffen. Recherchen ergaben, dass sechs Regierungsbeamte, zwei allein dafür gegründete PR-Firmen und eine Medienorganisation an der Kampagne beteiligt waren. Die Tech-Unternehmen Twitter und Meta sperrten die betreffenden Konten kurz vor der Wahl. Die Regierung reagierte und schaltete das Internet während des Wahltages ab.
Neben politischen Akteuren, die die eigene Wiederwahl innenpolitisch zu sichern suchen, beeinflussen auch externe Akteure die öffentliche Meinung in Drittstaaten.
Viel Aufsehen erregte zuletzt das Engagement Russland-naher Kräfte, insbesondere die Gruppe Wagner, in westafrikanischen Staaten. Sie nutzten bestehende anti-französische und pro-russische Narrative für sich aus. Desinformation verbreite sich über Medien, aber auch Nachrichtendienste wie Telegram. Inhalte russischer Staatsmedien werde in lokale Sprachen übersetzt. Sowohl diese als auch Nachrichten chinesischer Medien würden oft kostenlos zur Verfügung gestellt. Für Dienste wie AFP, Reuters oder die deutsche dpa müsse man dagegen zahlen.
Hier stünden sich im Wesentlichen zwei Taktiken gegenüber: „debunking“ versus „prebunking“, so die Panelist*innen. Im ersten Fall sollen Falschinformationen und Gerüchte widerlegt werden. Das sei zeitaufwendig und erfordere von Journalist*innen, die Existenz solcher Informationen anzuerkennen und sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein weiteres Problem sei es, die widerlegte Information ähnlich weit zu verbreiten.
Das sogenannte „prebunking“ hingegen verfolge einen präventiven Gedanken. Hier geht es weniger um einen spezifischen Fakt, als um digitale Bildung. Nutzer*innen sollen in die Lage versetzt werden, Desinformation und Fake News als solche zu erkennen. Weniger der informatorische Inhalt steht im Vordergrund, sondern mehr das Wirksystem und die Rhetorik. Diese Technik habe sich besonders im Kontext von Radioberichterstattung als wirkmächtig erwiesen.
Dafür reiche allerdings kein generisches Training zum Thema Desinformation. Oftmals entspräche dies auch nicht den persönlichen Prioritäten der Bürger*innen, die sich mehr um Probleme der Sicherheit in Kriegs- und Terrorismussituationen sorgten. Ganz anders habe es sich bei Mentoring-Programmen erwiesen. Hier würden z.B. Journalist*innen fortwährend und auf Einzelfallbasis betreut und auch für die Thematik Desinformation sensibilisiert und geschult.
Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung bieten dem afrikanischen Kontinent große Chancen, bedeuten aber auch enorme Herausforderungen. Die Podcast-Reihe »Megatrends Afrika« zeigt auf, wie diese Umbrüche den Kontinent prägen. In Folge zwei diskutieren Denis Tull und Benedikt Erforth über den geostrategischen Wettbewerb in Afrika. Moderation: Dominik Schottner.
Mit dem endgültigen Abzug der französischen Militäroperation Barkhane aus Mali am 15. August 2022 und deren teilweiser Verlegung in das Nachbarland Niger regt sich auch dort zunehmend Protest in der Bevölkerung. Die Ankündigung von Präsident Mohamed Bazoum, die Dieselpreise anzuheben sorgt dabei für zusätzlichen Zündstoff. Megatrends Afrika sprach mit Moussa Tchangari, Generalsekretär der nigrischen Nichtregierungsorganisation Alternative Espaces Citoyens (AEC), über die Hintergründe des zivilgesellschaftlichen Unmuts, neue Formen des Protests und mögliche Auswege aus der aktuellen sicherheitspolitischen Krise.