Nach nahezu zehn Jahren hat Frankreich seine Soldaten nun aus Mali abgezogen. Der Rückzug symbolisiert nicht nur ein Scheitern der französischen Interventionspolitik, argumentieren Benedikt Erforth (IDOS) und Denis Tull (SWP) in diesem Megatrends Afrika Spotlight, sondern spiegelt auch die außenpolitische Schwäche Europas wider.
„Frankreich ist nicht dazu berufen, in Mali zu bleiben." Mit diesen Worten verkündete François Hollande im Januar 2013 einen teilweisen Sieg über die jihadistischen Gruppen in Mali. Frankreich hatte vier Tage zuvor seine Militärintervention dort begonnen. Nun, nahezu eine Dekade später, verwendet ein anderer französischer Präsident eben diese Worte, um das Ende der Truppenpräsenz zu verkünden. Am 15. August verließen die letzten Soldaten der Operation Barkhane das malische Territorium.
Zwischen 2013 und 2021 hat sich das Stimmungsbild in Mali und dem Sahel gegenüber Frankreich scharf gedreht. Anfangs noch als Befreier gefeiert, sieht sich Paris heute malischen Vorwürfen ausgesetzt, die Sicherheitslage nicht in den Griff zu bekommen und gar neo-koloniale Abhängigkeitsmuster zu verstetigen. Im Januar 2022 führte der Disput mit der malischen Militärregierung zu der Ausweisung des französischen Botschafters, gefolgt von der Aufkündigung der bilateralen militärischen Kooperation. Dem möglichen Rauswurf von Barkhane kam Paris zuvor, indem es selbst den Abzug beschloss. Doch auch danach ist kein Ende der Spannungen in Aussicht. Jüngst bezichtigte die malische Regierung Frankreich der Unterstützung terroristischer Elemente im Land.
Bereits jetzt steht fest: Mit dem Rückzug Frankreichs ist auch ein Teil europäischer Außenpolitik gescheitert. Davon zeugen unter anderem die Präsenz der russischen Wagner-Söldner sowie einer Welle populistischer, teils scharfer anti-westlicher Diskurse. Damit muss sich Präsident Emmanuel Macron in seiner zweiten Amtszeit nun vor allem der Schadensbegrenzung widmen. Welche Konsequenzen wird dies für deutsche und europäische Politik im Sahel haben?
Seit Mitte der 1990er Jahre oszillierte Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber den frankophonen Ländern Afrikas zwischen historischer Kontinuität und dem Drang nach Wandel. Auch Hollande hatte als Erneuerer sein Amt angetreten. Zugleich war sein Weltbild geprägt von den Erfahrungen des globalen Krieges gegen den Terror seit dem 11. September, Frankreichs linguistischer, historischer, geographischer und sozio-kultureller Nähe zu den ehemaligen Kolonien, und dem parteiübergreifenden Verständnis über die besondere Rolle und Verantwortung Frankreichs in der Welt, dem Afrika oft als Projektionsfläche dient.
Als ein Amalgam aus Separatisten aus den nördlichen Provinzen, selbst-deklarierten Jihadisten und Al-Qaeda-Anhängern im Januar 2013 Kurs auf Malis Hauptstadt Bamako nahm, bat Malis damaliger Interimspräsident Dioncounda Traoré Frankreich um Unterstützung. Versuche, eine afrikanische Friedenstruppe auf den Weg zu bringen, waren gescheitert. François Hollande, der bis zuletzt eine militärische Intervention ausgeschlossen hatte, gab schließlich den Befehl zur Intervention. Nicht einmal einen Monat später befanden sich 4,500 gefechtsfähige französische Truppen in Mali, die die Jihadisten schnell zurückdrängten. Das militärische Dispositiv wurde schließlich 2014 in eine regionale und unbefristete Militäroperation mit dem Namen Barkhane überführt.
Von Beginn an verfolgte Paris zielstrebig eine Politik der Internationalisierung der Intervention, die internationale Unterstützung und französische Führung zugleich beanspruchte. Dies diente sowohl der Lastenteilung als auch der Legitimierung der französischen Intervention. Sie war sichtbar in dem Engagement der VN (MINUSMA), der EU (EUTM, EUCAP Sahel) und zahlreicher bilateraler europäischer Partner, darunter Deutschland.
Die Ergebnisse von beinahe zehn Jahren Interventionspolitik sind bekannt. Für Frankreich wurde Mali zum außenpolitischen Fiasko. Das politische Ziel der Intervention blieb bis zuletzt vage und verstärkte den Eindruck eines militärisch dominierten Vorgehens. Spät und zögerlich wandte sich Paris flankierenden Ansätzen zu. Der Entwicklungspolitik kommt nur eine geringe Bedeutung im Rahmen eines integrierten Ansatzes zu. Sie wurde überwiegend als Teil erfolgreicher Aufstandsbekämpfung begriffen oder – noch enger gefasst – als Teil zivil-militärischer Ansätze, die dem französischen Militär lokale Legitimität verschaffen sollten. Obwohl die Regierung die Sahelzone zur außenpolitischen Priorität erklärte, entfielen 2018 auf die fünf Sahelstaaten nur 10 Prozent der gesamten französischen Entwicklungshilfe für Afrika, und nur 2,5 Prozent auf Mali selbst. Die Tatsache, dass dieses Niveau seit 2013 unverändert blieb, zeigt die Diskrepanz zwischen deklarierten politischen Prioritäten und der tatsächlichen Mittelallokation.
Weitere politische Inkohärenzen haben die Glaubwürdigkeit französischer Sahelpolitik auch in der Region langfristig beschädigt. Ein prominentes Beispiel ist die Unterstützung für die verfassungswidrige Machtübernahme im Tschad durch Mahamat Déby (2021). In deutlichem Gegensatz dazu ging Paris auf politischen Konfrontationskurs mit der illegitimen Regierung in Bamako. Ein unauflösbarer Widerspruch war schließlich erreicht als die EU Sanktionen gegen Bamako durchsetzte. Trotzdem sah Frankreich kein Problem darin, mit derselben Regierung den gemeinsamen Antiterrorkampf fortzuführen.
Frankreichs überbordende Rolle als Anführer und Impulsgeber der internationalen Koalition sollte indes nicht die kollektive europäische Verantwortung außer Acht lassen. Neben den Ergebnissen zeigt sie sich darin, dass die Europäer*innen über knapp zehn Jahre an einem mehr oder weniger koordinierten Kurs festhielten, der trotz ausbleibender Erfolge nicht verändert wurde. Die europäischen Partner*innen haben die französische Deutungshoheit über die aktuelle Krise nicht wirklich in Frage gestellt bzw. es ist ihnen nicht gelungen, den einmal eingeschlagenen Kurs zu korrigieren. Meinungsverschiedenheiten gab es genug. Vertreter*innen anderer europäischer Staaten haben in vertraulichen Gesprächen nicht mit Kritik an Frankreichs Führungsrolle gespart.
Ein Beispiel für die europäische Folgsamkeit ist die Gemeinsame Truppe des G5 Sahel. Sie wurde ab 2018 von Paris zum Leuchtturmprojekt ausgerufen, dem entscheidende Bedeutung bei der Lösung der Krise zugeschrieben wurde. In der Folge widmeten Deutschland und andere Staaten dem Vorhaben große politische Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung. Die unrealistischen Erwartungen konnte der G5 jedoch nie erfüllen. Ähnliches galt hinsichtlich eines möglichen politischen Dialoges Bamakos mit den Jihadisten. Berlin schloss sich der französischen Position an, die einen solches Unterfangen zum Tabu erklärte, obwohl es in Mali mehrheitsfähig ist. Auch den bereits erwähnten diskrepanten Umgang mit den Regierungen in Mali und Tschad trugen die EU-Staaten trotz vernehmbarem Murren mit.
Trotz aller Besonderheiten sind die malisch-französischen Beziehungen symptomatisch für die Krise französischer Afrikapolitik. Paris kristallisiert in seinen ehemaligen Kolonien tiefsitzende Ressentiments, die sich zunehmend Bahn brechen. Daraus resultiert das Dilemma für Berlin, dass sein engster außenpolitischer Partner im westafrikanischen Kontext eher zu einer Belastung geworden ist. An der Seite Frankreichs zu stehen kann Reputationsrisiken bedeuten.
Gleichzeitig ist eine Distanzierung von Paris schwerlich mit der Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen kompatibel, zumal Afrikapolitik zwar ein nicht unwichtiges, gleichwohl aber kein prioritäres Thema für Berlin im Verhältnis zu Paris ist. Auch strategisch wäre eine solche Distanzierung wenig ratsam.
Der deutsche Reflex, noch stärker auf die EU-Schiene zu setzen, kann hier unter bestimmten Bedingungen einen Ausweg bieten. Zwar dominiert in Mali und der Region vielerorts die öffentliche Wahrnehmung, Frankreich definiere die Politik der Europäer*innen und stelle sie in den Dienst seiner Interessen. Dies ist nicht ganz falsch. Lokale Beobachter*innen gehen zurecht davon aus, dass Frankreich in der Region ungleich größere Ambitionen hat als alle anderen europäischen Länder – und damit auch größere Anreize, die Politik der EU zu gestalten und zu beeinflussen.
Dem gilt es entgegen zu treten. Falls die EU eine stärkere und glaubwürdigere Rolle spielen soll, muss die Gestaltung und Umsetzung ihrer Politik inhaltlich und kommunikativ verändert werden. Die EU und die europäischen Mitgliedsstaaten müssen sich vom Ruf des „Erfüllungsgehilfen“ Frankreichs emanzipieren. Sie müssen stärker und sichtbarer bei der Formulierung und Umsetzung europäischer Politik in Erscheinung treten. Dies setzt freilich Gestaltungsansprüche und Interessen voraus, um mit Paris Deutungshoheiten und Inhalte neu zu verhandeln. Der Team Europe- Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) kann hier möglicherweise einen Beitrag leisten. In enger Zusammenarbeit miteinander sowie mit den Partnerländern und Regionalorganisationen können kleine Gruppen an Mitgliedstaaten entwicklungspolitische Prioritäten setzen und koordinieren.
Periodisch auftretende deutsch-französische Friktionen der vergangenen Jahre rund um Mali sind immerhin ein positives Indiz dafür, dass Meinungsunterschiede öfter thematisiert werden. Ob Frankreich seinen Habitus als natürliche Führungsmacht ablegen wird ist keineswegs sicher. Allerdings hat das Mali-Zerwürfnis alte französische Gewissheiten über die eigene Rolle in Afrika erheblich erschüttert. Dies kann eine Chance für Deutschland und andere europäische Länder sein, die europäische Politik gegenüber dem Sahel und dem frankophonen Westafrika stärker als bisher mitzugestalten.
Der Sahel als Katalysator europäischer Sicherheitspolitik ?
doi:10.18449/2022S08
Die EU tut sich schwer damit, der Tatsache ins Auge zu blicken, dass ihre GSVP-Missionen in Mali, insbesondere EUTM, wenig effektiv waren. Die jüngst verfasste „Strategic Review“ schiebt die Schuld auf den geopolitischen Wettbewerb mit Russland und weniger auf eigene Versäumnisse. Dabei, so argumentiert Denis Tull (SWP) in unserem Megatrends Afrika Spotlight, müsse die Union ihre Ertüchtigungsmaßnahmen zuerst auf ihre Wirksamkeit überprüfen, bevor sie – wie geplant – ihre CSDP-Aktivitäten in Malis Nachbarländer ausdehnt.
Die beiden Missionen MINUSMA und EUTM in Mali sind der bei Weitem größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Nun wird nicht nur deren Wirksamkeit in Zweifel gezogen, desgleichen steht ihre politische Grundlage in Frage. Das seit 2020 regierende Militär hat einen Konfrontationskurs gegenüber Malis westlichen und regionalen Partnern eingeschlagen und stellt damit die Zusammenarbeit auf eine harte Probe.
doi:10.18449/2022MTA-KA01