Anlässlich ihres Vorsitzes über die G7 lädt die Bundesregierung Staats- und Regierungschef*innen vom 26. bis 28. Juni zu einem Gipfeltreffen nach Schloss Elmau. Viele Themen auf der Agenda – Klima, Nahrungsmittelsicherheit, wirtschaftliche Erholung nach Covid-19 – betreffen afrikanische Gesellschaften und Staaten in besonderem Maße. Doch die afrikapolitische Dimension könnte stärker ausgeprägt sein, sagt Axel Berger, kommissarischer stellvertretender Direktor am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). In diesem Megatrends Afrika Spotlight sprechen wir mit ihm darüber, dass die G7-Debatten einen stärkeren Blick nach Außen benötigen, insbesondere in Richtung der afrikanischen Partner.
AH: Herr Berger, ab Sonntag findet der G7-Gipfel unter deutschem Vorsitz statt. Welche Rolle spielen dabei afrikapolitische Themen?
AB: Ich würde jetzt nicht sagen, dass der Kontinent höchste Priorität auf dem Gipfel hat - aber trotzdem, er ist nicht unwichtig. Die erste Indikation dafür ist die Einladung vom Senegal, der Präsidentschaft der Afrikanischen Union (AU). Dahinter steckt die wichtige Botschaft, dass man die AU beteiligen möchte. Südafrika wurde ebenso eigeladen, fliegt aber eher unter der G20-Flagge, wie auch Indien, Indonesien und Argentinien.
Auf der Agenda stehen auch einige Themen, die einen starken Bezug zu afrikanischen Herausforderungen und Problemlagen haben, Nahrungssicherheit zum Beispiel. Ebenso wie Klima. Hier geht es der deutschen G7-Präsidentschaft vor allem um die Idee eines Klimaclubs, der eine Allianz der Willigen für mehr Klimaschutz zusammenbringen soll. Welche Wechselwirkung dieser aber für Entwicklungsländer hat, besonders in Afrika, wird leider zu wenig besprochen.
Bei anderen Themen fand ich die bisherigen Beschlüsse im Rahmen der G7 unzureichend, insbesondere mit Blick auf die Schuldenproblematik. Hier verweist man vor allem auf das Common Framework der G20. Das ist natürlich einerseits richtig, weil dort große Kreditgeber Mitglied sind, wie China. Aber die G7 hat auch viele private Kreditgeber, für die sie eigentlich verantwortlich ist und die sie stärker in die Verantwortung nehmen sollte.
AH: Interessant. Gerade im Bereich Klimapolitik hat sich die Bundesregierung ja einiges für ihren G7-Vorsitz vorgenommen.
AB: Ja, aber der Fokus liegt dabei nicht auf dem afrikanischen Kontinent oder die Entwicklungsländer im Allgemeinen. Dabei geht es bei den Klimaclubs auch um die Frage, was sind die Auswirkungen für andere Länder wenn etwa ein Grenzausgleichsmechanismus etabliert wird, der in Importen enthaltene CO2-Emissionen aus weniger regulierten Ländern besteuert. Im Kern geht es hierbei darum, wie kann man Carbon Leakage verhindern kann, indem Industrien in weniger stark regulierte Volkswirtschaften abwandern? Wir beobachten, dass in diese Debatte mehr entwicklungspolitische Perspektiven eingebracht werden müssten. Bis jetzt wird hier sehr europäisch gedacht, G7-fokussiert: erstmal die Allianz der Willigen zusammenbringen.
AH: Ist dieses „zu wenig“ der Aufmerksamkeit oder Miteinbeziehung Afrikas ungewöhnlich für die G7? Immerhin hat sie eine Geschichte, afrikapolitische Themen hoch auf die Agenda zu setzen.
AB: Ich würde es nicht wenig nennen, aber ausbaufähig. Afrika ist nicht völlig vom Radar gerutscht. Aber die G7 hat ihre Rolle etwas geändert. Es gab die Gipfel, wie zum Beispiel den Gleneagles-Gipfel im Jahr 2005, bei denen Afrika groß auf der Agenda stand. Das ist heute anders.
Ich sehe auch keine Initiative, die etwa mit der G20-Intitiative Compact with Africa aus dem Jahr 2017 vergleichbar wäre, durch die Privatinvestitionen in afrikanischen Ländern gefördert werden sollen. Vielleicht könnten die Just Energy Transition Partnerships einen Ansatz bieten, die Länder bei der Dekarbonisierung ihrer Wirtschaften unterstützen sollen. Die Partnerschaft gibt es etwa mit Südafrika.
Bei alldem müssen wir natürlich den Krieg in der Ukraine bedenken, der derzeit natürlich das dominierende Thema ist. Doch auch dabei wäre es wünschenswert, Afrika stärker miteinzubeziehen. Denn durch Kooperationen auf Augenhöhe könnten die besorgniserregenden Positionsunterschiede zwischen der G7 und afrikanischen Ländern abgebaut werden.
AH: Inwieweit wirkt sich diese Situation und die Haltung afrikanischen Staaten zu Russland auf die Beziehungen mit der G7 aus?
AB: Viele afrikanische Länder und andere Entwicklungsländer bezeichnen sich als „non-aligned“, also blockfrei. Es ist interessant, dass dieser Begriff eine Renaissance erlebt.
Grundsätzlich arbeitet die deutsche Präsidentschaft hiermit recht zielorientiert. Sie haben realisiert, dass man sich einerseits natürlich abgrenzen muss von autokratischen Regierungen und Systemen. Aus dieser Überlegung heraus motiviert sich auch der Schwerpunkt auf gesellschaftliche Resilienz und demokratische Strukturen in ihrem Programm.
Aber andererseits ist es gerade vor dem Hintergrund wichtig, mehr auf Partnerschaft zu setzen, gemeinsame Aktivitäten oder Initiativen auf Augenhöhe zu starten. Denn man braucht natürlich auch die Kooperation und muss sie auch suchen. Das gilt auch für Ländern wie China oder auch schwierige Partner wie Indien. Es ist ein Balanceakt, aber er wird auch als solcher gesehen.
AH: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die deutsche G7-Präsidentschaft geprägt. Haben einige Themen deshalb weniger Aufmerksamkeit erhalten?
AB: Klar, die G7 war vor allem auch eine Plattform, um die Sanktionen gegen Russland zu koordinieren und abzustimmen. Aber jede G7 oder G20 Präsidentschaft hat ihre eigene Krise. Nicht jede ist so groß oder so folgenschwer wie der Ukraine-Krieg. Trotzdem wurde weiterhin versucht, den Fokus auf die ursprüngliche G7-Agenda zu legen.
Und die hat mich eigentlich überzeugt als sie im Januar veröffentlicht wurde. Sie deckt ein sehr breites Feld von Nachhaltigkeitsforderungen ab: Von Gesundheitsfragen, wirtschaftlicher Erholung, Vermeidung von einer Two Track Recovery, bei der Entwicklungsländer ins Hintertreffen geraten und natürlich das Thema Klimawandel. Aber auch die Resilienz von Gesellschaften ist ein wichtiger Aspekt. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Themen noch stärker eingebunden werden: was bedeutet das für andere Länder, für Entwicklungsländer insbesondere.
Von daher würde ich jetzt nicht sagen, dass etwas fehlt. Vielmehr ist die Frage: Kriegt man die Agenda jetzt so gut abgearbeitet, dass dann tatsächlich hilfreiche Entscheidungen gefällt werden, die nicht nur die akuten Problemlagen adressieren, sondern auch langfristige Nachhaltigkeit fördern.
AH: Was erwarten Sie sich dann von dem Gipfel?
AB: Naja, einiges wissen wir ja schon. Die Ministertreffen im Klima- und Umweltbereich fand ich ermutigend: dekarbonisierte Stromversorgung bis 2035, Kohleausstieg, es gab auch Entscheidungen zu Subventionen für fossile Brennstoffe. Auf dem Gipfel wird der Klimaclub bestimmt die größte Rolle spielen. Das ist natürlich auch eine Initiative, die Olaf Scholz aus dem Finanzministerium ins Bundeskanzleramt mitgenommen hat. Hier würde ich noch mehr erwarten: Stichwort offener Klimaclub, indem jeder Mitglied sein kann. Ich würde hoffen, dass dieser Prozess eingebettet wird in eine Diskussion zur diesjährigen COP27 in Ägypten.
AH: Wie passen diese klimapolitischen Ambitionen der G7 zu den energiepolitischen Erwägungen auf beiden Kontinenten? Mit Angola soll jetzt im Bereich des grünen Wasserstoffs kooperiert werden, mit Südafrika eher im Kohlesektor.
AB: Die Diskussion um grünen Wasserstoff ist interessant. Sie wird auch im Rahmen der G7 geführt. Wichtig ist in jedem Fall, dass dies nicht zu neuen Rohstoffabhängigkeiten für afrikanische Länder führt. Es sollten nicht einfach Rohstoffe abgeführt werden, sondern auch produktive Wertschöpfung im Land selber, also eine gewisse Verarbeitung stattfinden. Afrikanische Länder sollten von mehr profitieren als der reinen Extrahierung von Erzen oder Öl, so wie das bisher war.
AH: Währenddessen ist Ernährungssicherheit ein Thema, dass überall auf der Agenda ist. Was können wir hier erwarten – abseits vielleicht von, wenn man es etwas plakativ formuliert, großen Worten?
AB: Es gab natürlich das Entwicklungsministertreffen, bei dem ein Schwerpunkt auf die Allianz für Nahrungsmittelsicherheit gelegt wurde. Das ist auch eine gute und wichtige Initiative.
Aber im Grundsatz haben wir hier einen Zielkonflikt. Man muss hier erstmal die kurzfristigen Probleme lösen: die Blockade der Exporte von ukrainischem Getreide, Zugang schaffen für Dünger. Die Herausforderung besteht dann aber darin, auf die Langfristigkeit der Maßnahmen zu achten. Das heißt nicht nur die Angebotsseite miteinzubeziehen, zum Beispiel wie kann man Produktionskapazitäten in anderen Ländern stärken oder nachhaltige Produktionsweisen etablieren.
Aber wir müssen auch mehr auf der Nachfrageseite tun. Und das ist natürlich dann auch etwas für die G7; hier muss sie zuhause mehr machen. Ich denke da vor allem an den Fleischkonsum. Außerdem müssen wir uns der Frage stellen, wie wir landwirtschaftliche Prozesse dezentralisieren, nachhaltiger und resilienter gestalten können, sodass die ökologischen Auswirkungen weniger negativ sind. Kurz: diese kurzfristige Agenda mit den langfristigen Nachhaltigkeitszielen in Einklang bringen.
Und dafür sind die großen Worte notwendig. Die Themen müssen auf der Agenda gehalten werden. Die G7 ist da als Kooperations- und Dialogplattform geeignet. Wenn von ihr keine großen Worte kämen, wäre das schlecht.
AH: Sie sprachen eben über die Einladung vom Senegal und Südafrika. Zu solchen Gipfeltreffen werden meist ausgewählte Staaten eingeladen. Ist die situative Einladung ein sinnvoller Ansatz? Warum gibt es keine permanenteren Kooperationsmechanismen?
AB: Diese Einladungen sind ein Instrument, um die G7 etwas inklusiver zu machen. Auf dem Gipfel in Heiligendamm 2007 wurde ein Outreach-Prozess initiiert und dann fünf Partner eingeladen: China, Mexico, India, Brasilien und Südafrika. Nun ist die Frage: will man das weiter institutionalisieren oder überlässt man weiterhin der Präsidentschaft die Flexibilität, Gäste einzuladen.
Wenn man den Prozess weiter institutionalisiert oder sogar permanente Mitgliedschaften vergibt, unterminiert man eigentlich die G20 oder schafft eine Zweite. Die G20 ist ja eigentlich das inklusivere Forum. Wir reden natürlich jetzt über die G7, weil sie in Deutschland stattfindet und weil es derzeit eines der wenigen funktionierende internationale Foren ist - auf jeden Fall besser als die G20 in diesem Jahr. Denn mit Vladimir Putin am Tisch sind die Diskussionen sehr schwierig. Trotzdem sollte weiterhin politisches Kapital in die G20 investiert werden, damit diese weiterhin ein Ort bleibt, wo Zusammen mit den großen Schwellenländern Lösungen für die globalen Herausforderungen gefunden werden können.
AH: Für das German Institute for Development and Sustainability (IDOS) waren Sie im Kontext der deutschen G7-Präsidentschaft an der sogenannten Think7 (T7) beteiligt. In dem daraus entstandenen Communiqué an die Bundesregierung haben Sie eine Stärkung des Multilateralismus angeraten, etwa durch eine engere Verzahnung zwischen G7 und G20. Wie könnte sich das im Kontext der Beziehungen zum afrikanischen Kontinent äußern?
AB: Naja gut, Afrika ist auch in der G20 unterrepräsentiert. Das muss man ganz deutlich sagen. Da ist nur Südafrika und sie haben natürlich auch Schwierigkeiten Afrika als Ganzes zu repräsentieren. Das würde jedem Land schwerfallen. Es gab mal die Diskussion, der Afrikanischen Union einen permanenten Sitz anzubieten. Die Europäische Union hat diesen ja auch. Aber das ist derzeit politisch nicht umsetzbar.
Von daher ist es von der deutschen Regierung ein Zeichen, ein Symbol, die Präsidentschaft der Afrikanischen Union einzuladen. Es ist schon deutlich, dass außerdem viele G20-Länder dabei sind. Das würde ich als eine Art Brückenschlag in Richtung der G20 lesen.
AH: Worum ging es Ihnen im Think7-Prozess? Was war Ihnen wichtig, der Bundesregierung als Empfehlung mitzugeben?
AB: Die Think7 ist ein Netzwerk von Forschungsinstitutionen. Die Think7 gab es vorher schon, arbeitete aber eher in einem ad-hoc-Modus: mal einen Workshop hier, eine Konferenz da. Wir haben versucht, die relevanten Forschungsinstitute aus den G7 und auch darüber hinaus für einen strukturierten Austausch zusammenzubringen.
Die Hoffnung ist natürlich, dass das Netzwerk bestehen unter japanischer Präsidentschaft fortgesetzt wird. Uns ging es nicht nur darum, konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung zu schreiben, sondern darüber hinaus in den Austausch zu treten, Wissenskooperationsprozesse zu etablieren. In unserem Communiqué haben wir – neben konkreten Politikempfehlungen – drei Kernpunkte formuliert: die Stärkung des Multilateralismus, also die Zusammenarbeit mit der G20, dann neue Messverfahren von wirtschaftlichem Wohlstand, sowie über Politiksilos hinweg zu arbeiten und Think Tank-Prozess zu verstetigen.
Mir geht es darum, dass man unterhalb der Ebene der Regierungen dichte Netze spinnt, auf die man in schwierigen Lagen zurückgreifen kann. Jetzt haben wir etwa einen Präsidenten in Washington, Joe Biden, der multilateraler und kooperativer eingestellt ist. Aber das war ja die vier Jahre vorher mit Donald Trump eine ganz andere Situation. Hier kommen solche Netzwerke stärker zum Tragen. Aber in die muss man vorher und langfristig investieren.
Gespräch geführt von Anna Hörter, Forschungsassistentin für Außenkommunikation bei Megatrends Afrika.