Der Bundestag hat Ende Mai die Mandate zur Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Einsätzen der Europäischen Union (EUTM Mali) und der Vereinten Nationen (MINUSMA) in Mali verlängert. Damit können insgesamt bis zu 1 550 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Mali und im Sahel eingesetzt werden, mehr als derzeit in Afghanistan. Gemessen am Ausmaß des Einsatzes verläuft die deutsche Diskussion über die Sahelpolitik schleppend, wenig ergiebig und allzu routiniert. Ein Grund dafür ist, dass Schlagworte und vermeintliche Gewissheiten (»vernetzte Sicherheit«, »Militarisierung«, »mehr lokale Eigenverantwortung«) die Debatte bestimmen, die weitgehend losgelöst von strategischen Zusammenhängen und Überlegungen eingeworfen werden.
Zu den unhinterfragten Prämissen, von denen Debatten in Deutschland über die Politik gegenüber den Sahel-Staaten oft ausgehen, zählt auch die Vergleichbarkeit mit Afghanistan. Wichtiger erscheint indes, die Lehren aus dem Engagement in Afghanistan anzuwenden, um im Sahel erfolgreicher zu agieren. Dazu bedarf es einer Diskussion, die über den Austausch von Schlagworten hinausgeht.
Frankreich: Partner oder Anführer?
Keine deutsche Sahel-Diskussion kommt ohne Verweis auf die herausgehobene Rolle Frankreichs aus. Das ist insofern naheliegend, als Frankreich nicht nur Deutschlands engster außenpolitischer Partner ist, sondern auch die europäische und internationale Führerschaft in der Sahelpolitik beanspruchen kann. Problematisch wird es, wenn auf deutscher Seite Annahmen und Vermutungen über die französische Sahelpolitik die Gestaltung der eigenen Politik gegenüber der Region beeinträchtigen.
In Deutschland gibt es auf der einen Seite jene, die mit Frankreich aus bilateralen oder europapolitischen Gründen in Mali kooperieren wollen oder weil sie den Sahel für wichtig halten. In der Regel neigen diese Stimmen dazu, sich der französischen Führung im Sahel unterzuordnen bzw. Frankreich als die politische und sicherheitspolitische Rahmennation anzuerkennen. Begründet wird dies in der Regel mit dem ungleich höheren Engagement Frankreichs und dessen vermeintlich überlegenem Wissen über die Region. Andere betrachten eine Kooperation mit Frankreich zwar als unausweichlich, sehen aber Abgrenzungsbedarf gegenüber Paris. Sie hegen diffuses Misstrauen gegenüber der französischen Afrikapolitik oder halten sie für militärlastig und daher fehlgeleitet.
Ohne eine tragende französische Rolle ist ein europäisches und internationales Engagement im Sahel in der Tat undenkbar. Berlin sollte sich kritisch mit der französischen Politik befassen, ohne allerdings jene Klischees und Mythen fortzuschreiben, die die französische Politik im Sahel pauschal als zwielichtige Interessenpolitik darstellen. Zumindest die beiden letzten Militärinterventionen Frankreichs – in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik (jeweils 2013) – lassen sich so nicht deuten. Paris schritt in beiden Fällen widerwillig ein, in Mali auf Anfrage der Regierung in Bamako und unter Beifall der Bevölkerung und der Nachbarstaaten.
Dort, wo es Dissens gibt, sollte Deutschland diesen vortragen, stärker als bisher. Das ist umso leichter, als auch zahlreiche andere europäische Länder sich heute im Sahel engagieren. Es gibt keine zwingenden Gründe dafür, so etwas wie eine französische Deutungshoheit in der Sahelpolitik anzunehmen. Sicherlich ist Frankreich in der Region ein machtbewusster Akteur. Auch haben Frankreichs Politiker die Neigung, Europa als Chance für französische Führung zu betrachten. Gleichwohl liegt das Problem nicht nur in Paris. Europäische Partner, wie auch die USA, tragen hohe Erwartungen an Frankreich heran, von dem sie Impulse und politische Steuerung erhoffen. Damit wird die französische Dominanz in der Sahelpolitik zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ob dies zielführend für den Erfolg der internationalen Stabilisierungsbemühungen ist, kann bezweifelt werden, wenn man bedenkt, dass Frankreichs politische Legitimität im Sahel zunehmend prekär ist. Es sollte weder im französischen noch im deutschen und europäischen Interesse sein, dass Paris stets in der ersten Reihe steht. Das gilt für seine Rolle als inhaltlicher Taktgeber, aber auch für seine Sichtbarkeit.
Dies setzt freilich voraus, dass Deutschland und andere europäische Staaten französische Vorschläge nicht nur ablehnen, sondern ihrerseits initiativ werden und gemeinsame Positionen und Strategien entwerfen. Aus Pariser Sicht bremst Berlin häufig den französischen Tatendrang, ohne Alternativen aufzuzeigen. Hier drehen sich Paris und Berlin im Kreis.
Ein wiederkehrender Dissens besteht etwa beim Einsatz von Gewalt. Wenn Deutschland und andere sich nicht an robusten Mentoring-Einsätzen der von Paris initiierten Task-Force Takuba im Sahel beteiligen, dann liegt das nicht ausschließlich an Risikofeindlichkeit, wie viele in Paris vermuten, sondern auch an der Vorstellung in Berlin, dass der Einsatz von mehr Militär kein aussichtsreicher Weg ist. Diese Haltung wird auch durch die Erfahrungen mit dem langjährigen Einsatz in Afghanistan bestärkt. Hier treten Unterschiede der strategischen Kultur zutage, die auf beiden Seiten Unverständnis und Frustrationen fördern.
Einsatz von Militär: zu viel, zu wenig, kontraproduktiv?
Im Zentrum der Diskussion über geeignete Stabilisierungsstrategien in Mali und im Sahel steht die Frage, welcher Einsatz militärischer Mittel angemessen ist. Ein von Entscheidungsträgern, Militärs und Kommentatoren immer wieder vorgetragenes Argument lautet, dass Konflikte im Sahel nicht ausschließlich mit militärischen Mitteln zu bewältigen seien. Aber was folgt daraus? Es hilft wenig, dem Militärischen die Entwicklungszusammenarbeit gegenüberzustellen. Diese tut sich ohnehin in Kontexten schwer, die von Gewalt geprägt sind. Zielführender mag der in Deutschland und der EU omnipräsente Verweis auf vernetzte bzw. integrierte Ansätze sein. Doch wo und wie die verschiedenen Dimensionen eines solchen Ansatzes zusammenlaufen und ob sie mehr bilden als nur die Summe ihrer Teile, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Laut Bundesregierung und EU wird ja in Mali seit 2013 ein solcher Ansatz verfolgt, und zwar unter hohem Aufwand. Die Tatsache, dass dennoch die sicherheitspolitischen, politischen und sozialen Trends in der Region negativ sind, legt nahe, dass der Ansatz bislang nicht funktioniert.
Eine zweite Position, die viele teilen, ist die Kritik am Übermaß militärischer Mittel in der Sahelregion. Dieses sei kontraproduktiv. Einiges spricht für den Befund vom Primat des Militärischen. Der Einsatz von Gewalt ist gezielter umsetzbar und verspricht unmittelbarere Effekte als die Bearbeitung der übergeordneten Ziele wie die Lösung innerstaatlicher Konflikte, der Aufbau von staatlichen Institutionen oder die Förderung von Entwicklung. Hier wird militärisches Handeln zum Politikersatz. Indes ist der Eindruck zu relativieren, dass das Primat des Militärischen uneingeschränkt gilt. Die Aufmerksamkeit, die die Operation Barkhane und die Gemeinsame Truppe der G5-Staaten erhalten, erweckt den Eindruck einer überwiegend militärischen Dimension des Engagements in der Sahelzone. In Anbetracht des riesigen Operationsgebiets und des Anteils jener Soldaten, die tatsächlich in Kampfeinsätze gehen (etwa 2 600 von 5 100 im Falle von Barkhane) kann davon jedoch keine Rede sein, noch weniger, wenn man sich die geringe Größe und Effektivität der Verbände Malis, Nigers und Burkina Fasos vergegenwärtigt. Die Streitkräfte von MINUSMA dienen vor allem dem eigenen Schutz bzw. dem der Arbeit der zivilen Komponenten. Von malischer Seite lautet ein Hauptvorwurf gerade, dass das MINUSMA-Militär zu wenig und zu wenig robust agiere. Auch die begrenzte Resonanz, die Frankreichs Takuba-Initiative unter europäischen Partnern gefunden hat, ist ein Hinweis darauf, dass das Primat des Militärischen weniger eindeutig ist, als oft behauptet wird.
Beide Standpunkte sind einer produktiven Diskussion über die Sahelpolitik wenig förderlich. Allenfalls verschieben sie die Verantwortung: Die These, dass der Einsatz militärischer Instrumente im Sahel unzureichend ist, nimmt die Militärs aus der Verantwortung, denn die können den Konflikt allein nicht lösen. Und die These vom Übermaß des Militärischen entlässt ihrerseits die zivilen Akteure aus der Verantwortung, denn aus ihr wird die Schlussfolgerung abgeleitet, dass das Primat des Militärs zivilen Initiativen keinen Raum lasse.
Der Fokus sollte stattdessen stärker auf die strategischen Ziele gerichtet werden, die mit dem Hilfsmittel Militär erreicht werden sollen und können. Die Entscheidungsträger müssen sich fragen, in welchem Verhältnis die taktischen Ziele der Terrorismusbekämpfung zum strategischen Ziel einer Stabilisierung Malis unter lokaler Eigenverantwortung stehen. Wenn Terrorismusbekämpfung als unerlässlich für die Stabilisierung Malis erachtet wird, dann muss näherungsweise der anzustrebende Grad der Zielerreichung bestimmt werden, also jener Punkt, ab dem die Terrorismusbekämpfung als erfolgreich bzw. als erfolgreich genug (und abgeschlossen) gelten könnte. Es ist zweifelhaft, ob sich hierfür Wegmarken definieren lassen. Wenn das aber nicht möglich ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass der militärisch geführte Anti-Terrorismus-Einsatz perspektivisch endlos ist. Diese Fragen zeigen, wie notwendig es ist, auf politisch-strategischer Ebene eine Diskussion über die Bedeutung des Terrorismus als Hindernis für die Stabilisierung Malis zu führen.
Auch ist zu hinterfragen, welche Bedingungen bei den malischen Partnern vorliegen müssen, damit von einer eigenverantwortlichen Stabilisierung gesprochen werden kann. Um diesen Punkt kreist unter anderem die Frage nach dem angemessenen Mandat von EUTM Mali.
Denkbar ist auch eine Akzentverschiebung hin zu einem stärkeren Fokus auf zivile Sicherheitskräfte, Justiz und Strafverfolgungsbehörden. Eine solche Justierung wird möglicherweise räumlich und langfristig den Problemen besser gerecht als statische und nur punktuell präsente Armee-Einheiten, die zudem für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung wenig geeignet sind und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begehen. In der EU sollte dazu eine Debatte geführt werden. Sie wird kontrovers verlaufen, schon allein deshalb, weil Paris das Kontinuum von Sicherheit und Verteidigung vertritt.
Governance: Der Ruf nach besserem Regieren
Beim Blick in die Sahelregion geraten die dortigen Regierungen in den Fokus. Auswärtige Partner fordern von ihnen mehr Eigenverantwortung, Reformen, effektiveres Regieren, kurzum bessere »Governance«. Dem Governance-Konzept unterliegt ein funktionalistisches Politikverständnis. Mit dem Schlagwort ist die Erwartung verknüpft, dass die Regierungen im Sahel öffentliche Güter wie Sicherheit, Infrastruktur oder Bildung organisieren. Aber dieses Postulat erweist sich allzu oft als Leerformel, die Konflikte und Interessengegensätze zwischen den lokalen Akteuren ignoriert.
In der Forschung über die Ursachen für schlechte Regierungsführung dominieren zwei Erklärungsansätze: mangelnder politischer Wille und/oder mangelnde Kapazitäten.
Der Befund des mangelnden Willens, zu dem sich oft noch der einer systematischen Korruption und Klientelwirtschaft addiert, mündet oft in den Appell, den Druck auf die lokalen Akteure zu erhöhen, um, wie beispielsweise in Mali, den stagnierenden Friedensprozess voranzubringen. In Ausnahmefällen wird externe Hilfe an bestimmte Maßnahmen und veränderte Verhaltensweisen (Konditionalitäten) gebunden. Allerdings wissen die Eliten vor Ort um Europas Ängste vor Migration und Terrorismus. Sie nehmen Konditionalitäten daher oft nicht sehr ernst. Sie wissen sich am längeren Hebel und machen aus der Not ihrer Außenabhängigkeit eine Tugend, denn Krisen und Konflikte spülen erhebliche materielle und finanzielle Hilfen ins Land. Das Beispiel Mali, wo die internationale Gemeinschaft mit einem stetig wachsenden Instrumentarium an Druckmitteln (u.a. VN-Sanktionen) vergeblich versucht, ein Friedensabkommen umzusetzen, ist ein Beleg für die Machtasymmetrie und damit für die Grenzen des Einflusses von außen.
Oft wird auswärtige Hilfe nicht an Konditionen geknüpft, weil das Problem der »schlechten Regierungsführung« dem Mangel an lokalen Kapazitäten angelastet wird. Capacity-Building in allen Bereichen (Armeeaufbau, Korruptionsbekämpfung, Parlamentsarbeit, Entwicklungszusammenarbeit etc.) ist die häufigste Antwort auf Governance-Appelle. Oft genug führen diese Programme und Projekte aber nicht zu Kapazitätsaufbau, sondern zu einer von lokalen Protagonisten durchaus gewünschten verstärkten Abhängigkeit und nicht zuletzt zu der Übernahme von Kernaufgaben durch externe Akteure. Lokale Eliten delegieren also, und damit rückt das Ziel der stärkeren Eigenverantwortung in noch weitere Ferne.
Rufe nach besserer Regierungsführung bedeuten also nicht viel. Wichtiger wäre eine Diskussion über Strategien und Instrumente, mit denen die skizzierten Probleme und Dilemmata bearbeitet werden können. Zu diesen zählt auch das scheinbare Paradox, dass sich die Lage im Sahel stetig verschlechtert, obwohl die internationale Gemeinschaft ihren Fußabdruck vertieft hat. Eine Kurskorrektur findet über punktuelle Justierungen hinaus kaum statt. Die Überlegungen der externen Akteure scheinen immer darauf hinauszulaufen, dass das Engagement ausgeweitet und vertieft werden muss. Mit Blick auf das Ziel der Eigenverantwortung der lokalen Akteure sollte eine gegenteilige Strategie zumindest denkbar sein. Das bedeutet nicht zwingend den abrupten Abzug, aber die Beschäftigung mit der Frage, welche indirekten, auch unbeabsichtigten Folgen das Engagement externer Akteure auf die Kosten-Nutzen-Kalküle der lokalen Protagonisten hat.
In der allzu routiniert verlaufenden Sahel-Diskussion sollten solche Gesichtspunkte stärker berücksichtigt werden, denn wenig deutet heute darauf hin, dass der Sahel-Einsatz ein kurzer Einsatz bleiben wird.
Dr. Denis M. Tull, Wissenschaftler in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika, ist derzeit als Wissenschaftler am Institut de Recherche Stratégique de l’École Militaire (IRSEM) in Paris.
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doi: 10.18449/2020A43