Im Vier Fragen-Interview fordert Agnieszka Brugger (Bündnis 90/ Die Grünen), dass mit den Afrikapolitischen Leitlinien Akzente für ein grundlegend neues Verständnis von Partnerschaftlichkeit gesetzt werden: Wertschätzung, Ehrlichkeit und Fairness sollten Leitwerte sein.
Megatrends Afrika (MTA): Welche aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen machen es nötig, dass Deutschland seine Afrikapolitik neu ausrichtet?
Agnieszka Brugger (AB): Wenn sich in einer multipolaren Welt internationale Krisen verschärfen und globale Herausforderungen immer größer werden, brauchen wir starke und handlungsfähige Allianzen mehr denn je. Aus europäischer Perspektive ist dabei die Kooperation mit unserem afrikanischen Nachbarkontinent von besonderer Bedeutung. Nicht erst der brutale russische Angriffskrieg und seine verheerenden internationalen Folgen zeigen, wie wichtig verlässliche Partner sind, um die regelbasierte internationale Ordnung zu schützen und zu erhalten. In den letzten Jahren hat die Europäische Union (EU) sowohl regional, als auch politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zu viele Lücken gelassen, die teilweise von Staaten wie China und Russland genutzt worden sind. Sie sind, die teilweise von Staaten wie China und Russland genutzt worden. Dabei hat Deutschland in vielen afrikanischen Staaten einen hervorragenden Ruf, bleibt aber sowohl innerhalb der EU als auch in den bilateralen Beziehungen hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Zugleich müssen die Folgen und Verbrechen der europäischen Kolonialzeit aufgearbeitet werden. Wir müssen uns ernsthaft mit der Kritik auseinandersetzen, dass der globale Norden sich nicht an seine eigenen Werte hält und eigene kurzfristige Interessen in ungerechten Machtstrukturen durchsetzt.
Es ist Zeit, ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufzuschlagen: Statt die Debatten von gestern fortzuführen, gilt es mit fairer Kooperation, mehr Selbstkritik und ehrlicher Auseinandersetzung mit den eigenen Zielkonflikten voranzugehen.
MTA: Wie sollte die deutsche Afrikapolitik neugestaltet werden, um die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten zu verbessern und die nachhaltige Entwicklung in Afrika zu fördern?
AB: Um es etwas zugespitzt und damit auch nicht ganz präzise zu formulieren: Bisher werden Fragen nach der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, fairen Handelsbeziehungen, feministischen Ansätzen und einer ehrlichen Aufarbeitung der Kolonialverbrechen belächelt und in ihrem immensen Potential vernachlässigt. Auf der anderen Seite scheinen Investitionsanreize und die gezielte Förderung wirtschaftlicher Kooperation grundsätzlich kritisch beäugt zu werden. Dabei könnten all diese Aspekte, gemeinsam und jeweils klug umgesetzt, sowohl afrikanischen wie europäischen Werten und Interessen besser gerecht werden, als die bisherige Politik.
Ein Zeichen echter Partnerschaftlichkeit ist die verstärkte Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union (AU), der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) oder der Intergovernmental Authority on Development (IGAD). Gemeinsame Handlungsfelder sind zum Beispiel Vermittlung in Konflikten und die Unterstützung regionaler Initiativen wie den ersten Afrikanischen Klimagipfel in Nairobi. Dort, wo keine oder wenig Kooperation mit staatlichen Institutionen möglich ist, arbeiten wir verstärkt mit der Zivilgesellschaft zusammen. Dieses einfache Prinzip wird in der Politik viel zu oft vernachlässigt: Die Menschen vor Ort wissen eigentlich immer am besten, was sie brauchen.
Zur Lösung globaler Probleme, von denen gerade viele afrikanische Staaten überproportional betroffen sind, müssen wir ungerechte Machstrukturen abbauen sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Investitionen fördern. Dazu gehört auch eine nachhaltige Reform der Weltbank und ein neuer, umfassender und fairer Weg der Entschuldung für hochverschuldete Staaten des Globalen Südens.
MTA: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die deutsche Afrikapolitik sowohl die eigenen Interessen als auch die Bedürfnisse und Prioritäten der afrikanischen Staaten und Gesellschaften berücksichtigt?
AB: Für gute Zusammenarbeit braucht es gegenseitige Wertschätzung, Ehrlichkeit und Fairness. Wir sollten uns vor allem auf die vielen drängenden Themen konzentrieren, die beide Kontinente betreffen und zum beiderseitigen Vorteil bearbeitet werden können. Dies gilt gerade in einer Welt, in der geopolitische Spannungen und Konkurrenzen zunehmen.
Mehr denn je brauchen wir verlässliche Partner, auch zum Schutz unserer langfristigen Interessen wie den Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung, die Sicherung des eigenen Wohlstands zu nachhaltigen und fairen Bedingungen, bei Rohstoffabbau, der Wasserstoffproduktion oder der Gestaltung von Migration. Mit bilateralen Energiepartnerschaften können wir zum Beispiel Lösungsansätze schaffen, von denen alle Partner sogar mehrfach profitieren.
Es zeigt sich, dass vielen vermeintlich wohlklingenden Versprechen von Staaten wie China und Russland nun die Enttäuschung folgt. Hier können wir eine attraktivere und fairere Partnerschaft anbieten hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Entwicklung mit echten Zukunftsperspektiven. Gleichzeitig kann es aber auch keine Kooperation um jeden Preis geben, bei der Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung oder Umweltzerstörung ausgeblendet werden. Die Intensität und Tiefe unserer Zusammenarbeit sollte sich an der Übereinstimmung von Werten und Interessen orientieren, auch wenn wir mit allen Staaten im Gespräch sein müssen.
MTA: Welche blinden Flecken nehmen Sie in der deutschen Afrikapolitik wahr, die Sie gerne stärker auf die politische Agenda setzen würden?
AB: Es beginnt damit, dass wir aufhören, über „Afrika“ zu sprechen. Es ist ein riesiger Kontinent mit über 50 Staaten, mit extrem unterschiedlicher Geschichte, politischer Verfasstheit und Herausforderungen. So bleiben Afrikapolitische Leitlinien immer sehr abstrakt und können nur grundsätzliche Leitprinzipien beschreiben. Sie müssen im Zusammenhang mit anderen Grundsatzdokumenten gelesen werden, welche die internationale Politik Deutschlands beschreiben. Gezielte Regionalstrategien wie die neue Sahel-Strategie der Bundesregierung sind deshalb besonders sinnvoll.
Immer wieder wird die Chance übersehen, von der Expertise und den Erfahrungen afrikanischer Staaten, zum Beispiel mit Blick auf die Bekämpfung von Epidemien zu profitieren.
Gleichzeitig erfährt die Verschuldungssituation und die Gestaltung nachhaltiger internationaler Finanzbeziehungen viel zu wenig politische Aufmerksamkeit – gemessen an ihrer Relevanz.
Nach wie vor ist die Kohärenz zwischen den Ressorts ausbaufähig, auch wenn sich einiges zum Besseren verändert hat. Noch mehr fehlt es an einheitlichen europäischen Positionen und einer echten Aufarbeitung der Kolonialzeit. Dies hat sich auch jüngst im Sahel gezeigt, auch wenn die Ursachen für die multiplen Probleme dort noch viel komplexer sind. Zur Aufarbeitung unserer Versäumnisse in der Region gehört die Abkehr von einem extrem verkürzten Sicherheitsbegriff. Dazu zählen Fragen nach dem Umgang mit korrupten Eliten und illegitimen oder nur teil-legitimierten Ordnungen sowie dem Potential und den Schwierigkeiten, die mit dezentralen Ansätzen verbunden sind.
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion. Sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Dieses schriftliche Interview wurde im September 2023 geführt und ist Teil unserer Mini-Serie „Vier Fragen“, in denen wir Abgeordnete nach ihren Prioritäten für die neuen Afrikapolitischen Leitlinien fragen.
Im Vier Fragen-Interview mit Megatrends Afrika fordert Dr. Katja Leikert (CDU) ein klares Selbstverständnis von den strategische Interessen Deutschlands. Für eine zukunftsfähige Afrikapolitik sollten wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit enger verzahnt werden.
Im Vier Fragen-Interview skizziert Dr. Christoph Hoffmann (FDP) Erwartungen an eine strategische Erneuerung des deutschen Engagements auf dem afrikanischen Kontinent. Besonders wichtig seien ein ehrlicher Dialog mit den afrikanischen Partnern und Investitionen in Infrastrukturen.
Im Vier-Fragen-Interview mit Megatrends Afrika unterstreicht Dr. Karamba Diaby (SPD) die Notwendigkeit sich den afrikanischen Partnern stärker zuzuwenden und ihnen aktiv zuzuhören. Er mahnt, die Interessen der 54 Staaten differenziert zu betrachten und nicht mehr von dem „einen Afrika“ zu sprechen.