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Die Wahlen zum Europäischen Parlament: Was können wir für die Beziehungen zwischen Afrika und der EU erwarten?

Megatrends Spotlight 32, 13.06.2024

Die politische Landschaft Europas hat sich durch die EU-Parlamentswahlen merklich nach rechts verlagert. Benedikt Erforth und Niels Keijzer (IDOS) beleuchten in diesem Megatrends Afrika Spotlight, welche Folgen das für die EU-Afrika Beziehungen haben könnte. Trotz mangelnder Neuerungen in den Bereichen Migration und Partnerschaft scheint eine Fortführung der bisherigen Politik wahrscheinlicher als bedeutende Veränderungen.

Vom 6. bis zum 9. Juni waren 373 Millionen Europäerinnen und Europäer aufgerufen, ihre Stimme für das künftige Europäische Parlament (EP) und seine 720 Abgeordneten abzugeben. Die Wahlkampagnen wurden von den Fragen der territorialen Sicherheit und der kollektiven Verteidigung vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine dominiert. Die Themen Migration, Asyl und der Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union (EU) beherrschten die Debatten in vielen europäischen Ländern. Die aktuellen Krisen und die kurzfristigen Antworten, die sie erfordern, haben die Debatten über eine umfassende, langfristige Außenpolitik weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Die schwindende Aufmerksamkeit für die Beziehungen zwischen Afrika und der EU ist ein Beispiel für diesen Trend – und das trotz der Bedeutung der Partnerschaft für viele Politikbereiche, darunter Klima, Energiesicherheit, Migration und auch die Rolle und Stellung Europas in der Welt.

In gewisser Weise spiegelt der geringe Stellenwert der Partnerschaft die vielen verfahrenstechnischen und inhaltlichen Herausforderungen wider, die auf ihr lasten. Die jüngste Absage des ursprünglich für November 2023 geplanten Ministertreffens zwischen der Afrikanischen Union (AU) und der EU unterstreicht die zunehmende Komplexität der diplomatischen Beziehungen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Positionen zur Ukraine und zum Gazastreifen noch kontroverser geworden sind. Die AU und die EU stehen kurz vor der Neubesetzung ihrer Führungspositionen und stehen vor der Herausforderung, eine Partnerschaft zwischen den Kontinenten zu koordinieren, die einst eine Priorität war.

Obwohl das EP in außenpolitischen Fragen oft als unbedeutend angesehen wird, hat es Einfluss darauf, wie sich die EU in Afrika engagiert. Durch seine Regelungsbefugnis, wie z. B. die Gesetzgebung im Rahmen des Europäischen Green Deal, und deren Außenwirkung, gestaltet das EP sowohl die Prioritäten als auch die Ansätze und Mittel für die Durchführung der EU-Außenpolitik mit. Das EP prüft auch die Beziehungen zwischen der EU und Afrika in verschiedenen Ausschüssen, insbesondere in den ständigen Ausschüssen für Entwicklung, Handel und auswärtige Angelegenheiten, aber auch in seinen Delegationen für die Beziehungen zum Panafrikanischen Parlament und zur Paritätischen Parlamentarischen Versammlung mit der Organisation der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean.

Kurzfristig wird das EP eine Schlüsselrolle bei der Ernennung des nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission und bei den Bestätigungsanhörungen des Kollegiums der 26 EU-Kommissare spielen. Die Wahlprogramme der Fraktionen, aus denen sich das neue EP zusammensetzt, sind ein entscheidender Faktor, der den Führungsanspruch des nächsten Kommissionspräsidenten gegenüber dem EP, die sogenannten politischen Leitlinien für die nächste Kommission, beeinflusst. In diesen Manifesten werden auch Vorstellungen über die Rolle der EU in der Welt und Ideen für die Partnerschaft der EU mit Afrika dargelegt. Insgesamt weisen die verschiedenen Texte und ihr Engagement für den europäischen Nachbarkontinent wenig Neuerungen auf. Die auffälligsten Unterschiede zwischen den Gruppen betreffen den Grenzschutz und das europäische Asylsystem. Angesichts des allgemeinen Rechtsrucks und des europäischen Wählerwillens ist eine stärker sicherheitsorientierte EU-Politik gegenüber Afrika zu erwarten. Was der Partnerschaft jedoch wirklich zugutekommen könnte, wäre, wenn das Parlament die neue EU-Führung dazu bringen würde, das richtige Gleichgewicht zwischen kurzfristigen Interessen und langfristigen Zielen gegenüber Afrika zu finden.

Wahlergebnisse und Positionen der Parteien zu Afrika

Nach den am 12. Juni veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen konnte die Europäische Volkspartei (EVP) ihre Position als stärkste Fraktion verteidigen und 189 der 720 Sitze erringen. Darüber hinaus konnten die rechten und rechtsextremen Fraktionen deutliche Zugewinne verzeichnen und verfügen nun über 131 Sitze. Die Sozialisten & Demokraten (S&D) stagnierten bei 135 Sitzen, während sowohl Renew Europe als auch die Grünen deutliche Verluste hinnehmen mussten. Obwohl rechte und rechtsextreme Parteien an Einfluss gewonnen haben, wird vieles davon abhängen, wie sie ihre Macht ausüben, wenn sie sich in den verschiedenen Fraktionen (neu) organisieren. Dies betrifft auch, in welchem Maße sie die Partnerschaft der EU mit Afrika beeinflussen können. Die interne Zusammensetzung dieser Fraktionen wird wiederum die Bereitschaft der pro-europäischen politischen Gruppen beeinflussen, sich ihnen politisch anzuschließen. Sicher ist, das Regieren in Europa mit diesem neuen, stärker zersplitterten EP wird schwieriger werden.

Als stärkste Fraktion hat die EVP in ihrem Wahlprogramm ein sicherheitsorientiertes Narrativ vorgelegt. Sicherheit, Souveränität und eine verbesserte Grenzverwaltung geben den Ton an. Afrika wird zum ersten Mal mit Verweis auf Tunesien und eine engere Zusammenarbeit mit Drittländern im Bereich der Migration erwähnt, gefolgt von der Forderung nach einem neuen Pakt über Asyl und Migration. Die zweite Erwähnung des Kontinents folgt im Zusammenhang mit der Debatte über die Energiewende und die Energieautonomie Europas. Als eine von mehreren Regionen, in denen seltene Erden vorkommen, sollte Afrika in eine gemeinsame Ressourcenstrategie einbezogen werden. Der Kontinent sollte Teil der Strategie des "De-Risking" werden, die das künftige Engagement der EU gegenüber China bestimmen soll. Darüber hinaus soll ein europäischer Investitionsplan für Afrika darauf abzielen, wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Entwicklung zu fördern und gleichzeitig die Abwanderung von Fachkräften innerhalb der afrikanischen Länder zu verhindern, vor allem aber die Ursachen der Migration zu bekämpfen. Die EVP strebt eine intensivere Handelspartnerschaft mit Afrika an, die der Kompetenzentwicklung, der Wohlstandsförderung, der Selbstversorgung und der Förderung der Demokratie Priorität einräumt. Die EVP betont in ihrem Manifest einen zukunftsorientierten Ansatz, indem sie Interessen hervorhebt und sich auf das konzentriert, was sein sollte, anstatt sich mit dem aktuellen Stand der Dinge zu befassen. Das Manifest kann als Verteidigung der Rolle Europas in einer immer stärker zersplitterten und wettbewerbsorientierten Weltordnung gelesen werden.

Generell zeichnet sich die S&D als zweitgrößte Fraktion nicht durch eine erkennbare außenpolitische Agenda aus und bietet keine neuen Ideen, wie die Beziehungen zwischen Afrika und Europa in den kommenden Jahren vorangebracht werden können. Das Programm wendet sich gegen die politische Rechte und setzt sich für eine gerechte und offene Welt ein, aber es schweigt sich weitgehend darüber aus, wie es diese Ziele erreichen will. Bemerkenswerterweise wird Afrika in einem 24-seitigen Manifest nur einmal erwähnt, als die Fraktion erklärt, dass „wir eine neue, gleichberechtigte Partnerschaft mit dem globalen Süden in den Bereichen sozialer Fortschritt, Wirtschaft, grüne Energie, Klimawandel, Migration und Demokratie über eine starke Afrika-EU-Partnerschaft, eine neu aufgelegte Europa-Mittelmeer-Partnerschaft und eine neue, fortschrittliche EU-Lateinamerika-Agenda aufbauen“. An anderer Stelle des Manifests heißt es, die S&D wolle sicherstellen, dass "keine EU-Mittel an autokratische Regierungen fließen". Während die Erklärung wohl zunächst innereuropäisch gelesen werden muss, stellt sich dennoch die Frage, wie sich diese Haltung auf die Beziehungen zu Drittländern auswirken wird, insbesondere wenn sie Begünstigte des EU-Entwicklungsinstruments sind. Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund des so genannten demokratischen Rückschritts, der auch auf dem afrikanischen Kontinent zu spüren ist.

Die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) belegten den dritten Platz. Ihr bekanntestes Mitglied sind die Fratelli d'Italia, Italiens größte Partei nach den Wahlen von 2022, die Georgia Meloni ins Amt brachten. In ihrem vierseitigen Manifest stellt die EKR eine Vision vor, die auf der Wahrung der nationalen Souveränität, der Förderung von Sicherheit, der Eindämmung der Migration und der Förderung des Wirtschaftswachstums beruht. Afrika wird in dem Manifest nicht erwähnt. Die Pläne der Gruppe für eine umfassende Migrationsstrategie und die vorgeschlagene verstärkte Zusammenarbeit mit Drittländern bei der Externalisierung der Migrationssteuerung würden sich jedoch direkt auf die Beziehungen zwischen den beiden Regionen auswirken. Eine noch stärkere Fokussierung auf Sicherheit und Grenzsicherung als von der EVP eingefordert ist zu erwarten. Wie der Mattei-Plan in Italien gezeigt hat, wird die EKR wahrscheinlich ebenfalls Vorschläge für eine stärker interessengeleitete, pragmatische Partnerschaft vorlegen, die einer transaktionalen Logik folgt und eine Rückkehr zur Konditionalität befürwortet. Die andere euroskeptische, rechtsgerichtete Fraktion im Parlament – Identität und Demokratie (ID) – hat kein eigenes Manifest vorgelegt, sondern vertritt effektiv die nationalen Plattformen ihrer konstituierenden Mitglieder, einschließlich des französischen Rassemblement National, der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der italienischen Lega. Nur die französischen Nationalisten erwähnen ausdrücklich den Kontinent, um auf die Gefahren der Migration hinzuweisen und ihren Ursprung zu benennen, was mit der Null-Toleranz-Haltung der Fraktion gegenüber illegaler Einwanderung einhergeht. Weiter stehen Maßnahmen im Raum, wie die von der Lega vorgeschlagene Verknüpfung von Entwicklungszusammenarbeit mit Migrationskontrollen und die im Programm der FPÖ vorgesehene Remigration.

Betrachtet man die anderen Fraktionen, so findet sich im Manifest der Grünen überraschenderweise ein einziger Hinweis auf vergessene Konflikte (z.B. Sudan, Demokratische Republik Kongo), obwohl sie verschiedene Themenbereiche betonen, die für die Partnerschaft mit Afrika von zentraler Bedeutung sind. Als Befürworter eines solidarischen und offenen Asylsystems – einschließlich zusätzlicher Wege für die legale Migration – lehnen die Grünen die so genannten Migrationsabkommen ab und bezeichnen das Abkommen mit Tunesien ausdrücklich als "schmutzigen Deal" mit einem Diktator. Diese Ansicht ist unvereinbar mit den Ansichten der beiden anderen führenden Fraktionen und verspricht weitere Blockaden in Grenz- und Asyslfragen. Die Grünen schlagen einen "Green and Social Deal" vor, der die Gerechtigkeitsdimension betont. Das Manifest stellt auch eine Verbindung zwischen fossilen Brennstoffen und Autoritarismus her. Anstatt Milliarden an Autokratien für fossile Brennstoffe zu zahlen, die in Drittländern gefördert und veredelt werden, können wir dieses Geld in die Produktion erneuerbarer Energien investieren, Geld und Arbeitsplätze in Europa halten und in eine bessere Zukunft investieren", heißt es im Text. Diese Aussage bezieht sich wahrscheinlich in erster Linie auf die Energieabhängigkeit Europas von russischem Gas, ist aber auch ein Kommentar dazu, wie Europa mit dem Globalen Süden interagiert. Seit der Einführung des europäischen Green Deals wird die EU von Entwicklungsländern – auch in Afrika – die fossile Brennstoffe exportieren, beschuldigt, ihre grüne Transformation auf Kosten ihres Rechts auf Entwicklung und Industrialisierung voranzutreiben. Die Grünen verteidigen den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) und versprechen höhere Ausgaben für klimarelevante Themen in Ländern mit niedrigem Einkommen. Das Manifest hebt auch die Rolle der Just Energy Transition Partnerships und der EU-Initiative Global Gateway bei der Beschleunigung der globalen grünen Transformation hervor und plädiert für eine Dekolonialisierung der EU-Außenbeziehungen.

Ähnlich wie die EVP betont die liberale Gruppe Renew Europe die Notwendigkeit, Europas Handels- und politische Beziehungen zu Afrika neu zu beleben, indem sie in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen anstellt und darüber hinaus Handels- und Investitionspartnerschaften mit ausgewählten Partnern überprüft. Darüber hinaus betonen sie die Notwendigkeit einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer direkten Positionierung Europas gegenüber chinesischen Investitionen und chinesischem Einfluss in Afrika, wobei sie sich auf Global Gateway beziehen. Eine globale Allianz für Demokratie soll auch die Rolle Europas in der Welt stärken. Mit diesem Vorschlag schlägt Renew Europe eine erweiterte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern vor. Der Emissionshandel und CBAM bleiben Kernelemente der Klimapolitik der Fraktion. Die Fraktion setzt sich für ein Asylsystem ein, das auf der Würde des Menschen basiert, will aber auch Push-and-Pull-Faktoren abbauen und von der EU verwaltete Einrichtungen außerhalb der EU-Grenzen einrichten, was Kooperationsabkommen mit afrikanischen Partnern erforderlich macht. Die Offenheit für solche Kooperationsabkommen und ihre allgemeine Haltung zur Migration bringt die Fraktion auch näher an die EVP heran. Die europäische Entwicklungszusammenarbeit sollte sich auf die Förderung von Demokratie, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Eindämmung des Klimawandels konzentrieren.

Die Fraktion Die Linke schließlich argumentiert, dass Europas eigenes Handeln die Hauptursache für die Zahl der Flüchtenden und Migranten ist, die versuchen, ihren Weg an die Grenzen der EU zu finden.

Perspektiven für das Engagement des Parlaments in Afrika

Dieser kurze Überblick über einige der Fraktionsprogramme zeigt eine Reihe allgemeiner Ideen und Ambitionen in Bezug auf die Partnerschaft der EU mit Afrika. Insgesamt sind die verschiedenen Texte und ihre Rezepte für das Engagement mit Europas Nachbarkontinent wenig innovativ. Die auffälligsten Unterschiede zwischen den Gruppen betreffen den Grenzschutz und das europäische Asylsystem. Angesichts des Rechtsrucks und der Forderungen der europäischen Wählerschaft ist eine stärker sicherheitsorientierte EU-Politik gegenüber Afrika zu erwarten. Die interkontinentalen Beziehungen werden als Schlüsselelement des künftigen Engagements der EU gegenüber Afrika weder betont noch gefördert, während ein differenzierterer Ansatz, der gleichgesinnte Partner in der Region einbezieht, in den Manifesten ebenfalls weitgehend fehlt. Obwohl das EP nicht der Hauptgestalter dieser nach wie vor stark intergouvernementalen Beziehungen sein wird, kommt ihm eine Schlüsselrolle bei der Überwachung der Beziehungen und der kritischen Auseinandersetzung mit den Initiativen und Ambitionen der EU zu. In einem stärker von Wettbewerb geprägten (oder geopolitischen) Umfeld kann das EP der EU dabei helfen, ein Gleichgewicht zwischen kurzfristigen Interessen und langfristigen Zielen gegenüber Afrika zu finden, und so eine wichtige Rolle spielen.

Dr. Benedikt Erforth ist Projektleiter von „Megatrends Afrika“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Dr. Niels Keijzer leitet dort das Projekt „Zwischen Krisenmanagement und globaler Nachhaltigkeitstransformation: Die Rolle der Europäischen Union“.