„Starting from the South“ – Wie wir die Finanzierung und Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen neudenken können
Megatrends Spotlight 24, 19.04.2023Die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen wird häufig von den Prioritäten der Geberländer bestimmt. Für dieses Megatrends Afrika Spotlight haben wir mit Margit van Wessel, Universität Wageningen, über Wege gesprochen, die Zusammenarbeit gleichberechtigter zu gestalten.
Die von Geberländern bereitgestellten Mittel erreichen lokale zivilgesellschaftliche Organisationen zumeist nicht direkt, sondern über internationale zivilgesellschaftliche Organisationen. In solchen Programmen werden das Agendasetting, die Programmplanung und die Verwaltung häufig ohne ausreichende lokale Beteiligung durchgeführt. Dies kann zivilgesellschaftliche Organisationen daran hindern, Projekte durchzuführen, die dem Kontext angemessen und politisch relevant sind. Margit van Wessel ist Mitherausgeberin des Sammelbandes 'Reimagining Civil Society Collaborations in Development. Starting from the South’, in dem sie einige praktische Wege zur Überwindung dieser Problematik vorschlägt.
Megatrends Afrika: Was sind einige der größten Probleme, mit denen von Gebern finanzierte zivilgesellschaftliche Organisationen konfrontiert sind?
Margit van Wessel: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Unterstützung durch internationale Geber und internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs) von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Afrika und darüber hinaus sehr geschätzt wird. Die Unterstützung birgt viele Möglichkeiten für sie, und oft sehen sie in der Zusammenarbeit einen großen Mehrwert. Aber es gibt auch einige wichtige Herausforderungen: Für lokale zivilgesellschaftliche Organisationen besteht eine davon darin, dass die zu bearbeitenden Themen und Agenden oft von ihren internationalen Partnern festgelegt werden. Das lässt den zivilgesellschaftlichen Organisationen des Südens manchmal wenig Raum, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Sie müssen mit verschiedenen Anforderungen jonglieren und versuchen, ihre Legitimität bei der lokalen Bevölkerung, den Gebern und dem Staat zu wahren.
Auch die Art der Projekte, Ansätze und Ziele richten sich zumindest teilweise nach den Vorgaben der Geber sowie nach deren Zeitplänen. Für zivilgesellschaftliche Organisationen müssen die Projektpläne jedoch oft anpassungsfähig und flexibel sein. Manchmal gibt es dafür nur wenig Spielraum. Ein weiteres Problem ist der Grad der Professionalisierung, der oft erforderlich ist, um mit internationalen Gebern zusammenarbeiten zu können. Man braucht ein entwickeltes Finanzmanagement, die Fähigkeit, Anträge zu schreiben, Finanzberichte zu erstellen und über Ergebnisse zu berichten. Das erfordert von den Organisationen ein hohes Maß an technischem Fachwissen. Die lokalen Mitarbeiter dieser Organisationen werden dann oft durch Fachleute ersetzt, die in den großen Städten ausgebildet wurden.
MA: Das ist in gewisser Weise überraschend. In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Initiativen, die diese und ähnliche Fragen thematisiert haben. Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis gab und gibt es viele Diskussionen darüber, wie man die Entwicklungszusammenarbeit flexibler und adaptiver gestalten kann. Auch Bewegungen wie #ShiftThePower und Grand Bargain in der humanitären Hilfe weisen auf die Probleme hin, die sich aus der hierarchischen und machtgeladenen Programmentwicklung ergeben. "Lokalisierung" und "Anpassung" sind im Geberjargon tief verwurzelt. Warum haben sich die Dinge in der Praxis noch immer nicht geändert?
MvW: Sie haben Recht, es gibt viele Initiativen, aber wir sehen, dass zum Beispiel der Grand Bargain nur selten zu einer Verschiebung von finanziellen Mitteln zu lokalen Akteuren geführt hat, zumindest bisher. #ShiftThePower ist eine Bewegung, die versucht, die Machtverhältnisse zu ändern, indem sie sich mehr auf lokale Finanzmittel stützt. Lokale Finanzmittel machen jedoch nur einen kleinen Teil der von Organisationen im Globalen Süden verwendeten Mittel aus. Adaptive Management ist in der Entwicklungszusammenarbeit noch nicht institutionalisiert.
Wie Sie andeuten, ist der Wandel vor Ort also noch nicht vollzogen. Und ich denke, dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens arbeiten die Geber nach wie vor mit vordefinierten Programmen, die so angelegt sind, dass sie große Geldbeträge über INGOs leiten. Diese nutzen diese Position immer noch aus, um ihre eigene Rolle zu behalten. Sie werden oft nicht ermutigt oder angehalten, ihre Praktiken zu ändern, und sehen angesichts der Forderungen der Geber auch nicht viel Raum dafür. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Globalen Süden wiederum sehen oft keine andere Möglichkeit, als sich mit dem zufrieden zu geben, was auf sie zukommt. Es handelt sich also um ein systemisches Problem.
Das zu ändern, erfordert einen viel systematischeren Ansatz. Was wir brauchen, sind attraktive und praktikable Arbeitsweisen. In diesem Bereich scheint es eine gewisse Dynamik zu geben. Ein Beispiel wäre hier das RINGO Projekt. In RINGO kommen viele Akteure der Zivilgesellschaft zusammen, um neue Arbeitsweisen für INGOs zu entwickeln. Einige Geber erwägen auch eine Änderung der Art und Weise, wie die Mittel verteilt werden. Es gibt Initiativen zur Bündelung von Geldern, damit sie direkter zugänglich sind, sowie Initiativen für eine Finanzierung auf Treuhandbasis. In unserem Buch 'Starting from the South' werden neue Arbeitsweisen von neuen Ausgangspunkten aus vorgeschlagen. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden.
Wichtig ist hier die Frage nach den Risiken. Einige argumentieren, dass die Anforderungen der Geber nur wegen der Risiken und des Risiko-Managements bestehen. Meiner Meinung nach müssen wir überdenken, was die Risiken tatsächlich sind: Wir müssen uns darüber klarwerden, wie diese Risiken entstehen oder nicht entstehen und wie sie bewältigt werden können. Die Frage, wie die Risiken angegangen werden können, stellt sich meines Erachtens noch nicht oft. Jenseits der Risiken sollten wir uns mit den Chancen befassen, die zwar vorhanden sind, aber kaum beachtet werden. Manchmal ist die Risikofrage auch eine Ausrede, um die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Transformation ist schwierig. Daher sollten wir Anreize für Transformationsmodelle schaffen und genauer untersuchen, was die Organisationen zurückhält.
MA: In Ihrem Sammelband haben Sie und Ihre Mitwirkenden einige praktische Möglichkeiten zur Lösung dieser Probleme vorgestellt. Was sind die Lehren daraus? Und vor allem, was können die Geber tun, um ihre Finanzierungssysteme zu reformieren?
MvW: Die Geber müssen den Wandel anführen. INGOs halten ihre Arbeitsweise in Bezugnahme auf die Anforderungen der Geber aufrecht. In den Niederlanden hat die Regierung begonnen, den INGOs strenge Auflagen zu machen, damit sie inklusiver werden und Organisationen im Globalen Süden führende Rollen in den Projekten einnehmen. Und wie wir gesehen haben, begannen INGOs daraufhin, die Sache viel ernster zu nehmen. Sie bekamen Anreize.
Es wäre wirklich gut, wenn die Geber die Anforderungen, die sie an ein gutes Programm stellen, anpassen würden. Wenn man sich die Anforderungen heutzutage ansieht, sind sie sehr auf den Globalen Norden ausgerichtet. Sie gehen nicht auf die Fragen ein, die für Organisationen aus dem Globalen Süden in ihrer Führungsrolle relevant wären. Sie könnten zum Beispiel Fragen stellen wie: Wie gut ist die Programmimplementierung in den lokalen Kontexten der Programmländer verwurzelt? Basiert sie auf dem Verständnis der Möglichkeiten und Herausforderungen in diesem Kontext, und spiegelt sie die Ziele der im Süden ansässigen Organisationen der Zivilgesellschaft und ihrer Mitglieder wider? Welche lokale Legitimation haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die durch das Programm finanziert werden? Wie unterstützt die INGO deren Ziele und Legitimität? Welchen Mehrwert bieten die INGOs oder Konsortien für die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen des Südens? Wie gut ist die Verknüpfung mit bestehenden Netzwerken?
MA: Gab es eine Erkenntnis im Buch, die Sie besonders überrascht hat?
MvW: Unerwartet war - zumindest für mich - das Ausmaß, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen nach Anerkennung streben: für ihre vorhandenen Fähigkeiten, für die Ziele, für die sie sich einsetzen, für ihre Ansätze, die im lokalen Verständnis und der lokalen Geschichte verwurzelt sind, und für die Wege, die sie sehen.
Wir sprechen viel über Machtteilung oder Machtverschiebung. Als ob Macht eine Art Nullsummenspiel wäre, bei dem diejenigen, die im Globalen Norden Macht haben, einen Teil ihrer Macht an Akteure im Globalen Süden abgeben. Aber die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in diesem Buch zu Wort kommen, sagen, dass sie die ursprünglichen Anführer sind; die Führung liegt bereits bei ihnen - sie wird nur nicht anerkannt.
MA: Inwieweit sind die Erfahrungen von Organisationen und Einzelpersonen spezifisch für bestimmte Regionen? Gibt es besondere Ergebnisse in Bezug auf Afrika?
MvW: Nun, unsere Buchkapitel sind sehr stark kontextbezogen. Ein Kapitel befasst sich mit der Frage, wie afrikanischer Feminismus aussehen kann und wie dieser das Verständnis afrikanischer Organisationen für ihre Rolle in der Gesellschaft prägt. Wir befassen uns auch mit der Diaspora. Verschiedene Führungspersönlichkeiten aus der afrikanischen Diaspora kommen zu Wort, um ihre Rolle im Entwicklungssektor ihrer Herkunftsländer darzustellen. So erhalten wir einen Überblick darüber, wie wir die Nord-Süd-Dyade in der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit überwinden und einen besseren Blick dafür bekommen können, wie zivilgesellschaftliche Organisationen auch mit Partnern in anderen Kontexten, einschließlich der Diaspora, zusammenarbeiten.
Wir sehen auch, dass neue Fragen auftauchen. Zum Beispiel gibt es eine Diskussion über afrikanische soziale Bewegungen und wie sie mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten. Dann spielt auch die afrikanische Philanthropie eine Rolle und wie diese Philanthropie in einem kulturspezifischen Verständnis des Gebens verwurzelt ist. Diese Verwurzelung in afrikanischen Kontexten als Ausgangspunkt für die Entwicklungszusammenarbeit ist meiner Meinung nach die wichtigste Botschaft.
MA: In Deutschland wurde die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gerade in der neuen Afrika-Strategie des BMZ hervorgehoben. Gleichzeitig steht die feministische Entwicklungszusammenarbeit ganz oben auf der Agenda. Da Sie selbst mit feministischen Organisationen zusammengearbeitet haben; was halten Sie von feministischer Entwicklungspolitik? Unter Umständen sind nicht alle zivilgesellschaftlichen Organisationen Befürworter eines solchen Ansatzes und könnten ihn als paternalistisch abtun. Könnte die Lokalisierung möglicherweise mit einer solchen Agenda nicht vereinbar sein?
MvW: Das ist eine gute und wichtige Frage. Ich denke, dass Paternalismus bei jedem Thema vorkommen kann. Das ist nicht spezifisch für die feministische Agenda. Eine feministische Außenpolitik oder eine feministische Entwicklungspolitik kann sehr paternalistisch sein, wenn es zum Beispiel darum geht zu definieren, was Feminismus ist. Ich denke, es ist wichtig, dass man sich wirklich mit der Vielfalt der Feminismen auseinandersetzt und nicht seine Version des Feminismus den Akteuren in anderen Teilen der Welt aufzwingt.
In dieser Diskussion wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Idee des Feminismus in anderen Kontexten der Welt fremd ist. Aber wenn Sie mit Frauengruppen in der ganzen Welt sprechen, werden Sie feststellen, dass diese eine sehr klare Vorstellung von ihrer Position als Frau haben, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und was in diesem Bereich angesprochen und verändert werden sollte. Sie sind sehr gut in der Lage, für sich selbst zu sprechen und zu definieren, wie die Agenda vorangebracht werden kann.
Die Rechte der Frauen werden durch Rechtfertigungen gespeist aus einer Vielzahl von Ideologien in unterschiedlichen Kontexten mit Füßen getreten. Ich denke nicht, dass wir in die Falle des Kulturrelativismus tappen und die Unterdrückung von Frauen aufgrund der kulturellen Ideologie in einem Land akzeptieren sollten. Frauen werden an vielen Orten unter allen möglichen Vorwänden und ideologischen Legitimationen unterdrückt. Aber wenn man mit den Frauen selbst spricht, möchten viele von ihnen, dass sich die Dinge ändern. Kultur ist keine nationale Einheit, von der wir die Finger lassen sollten, weil wir aus dem Ausland kommen. Gleichzeitig sollten wir aber auch akzeptieren, dass Veränderungen lokal geführt werden sollten.
Dieses Interview wurde am 3. März von Megatrends-Kollegin Lena Gutheil geführt. Gutheil ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS); sie arbeitet zu den Themen Urban Governance, Bürgerbeteiligung und zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. Im oben erwähnten Sammelband, hat Sie ein Kapitel darüber verfasst, wie zivilgesellschaftliche Organisationen organisationale Autonomie praktizieren.
Wie die Stärkung der politischen Stimme von zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Beziehungswandel zwischen Bevölkerung und Staat unterstützen kann
doi:10.18449/2023MTA-KA04
The working paper finds that urbanisation does not automatically lead to democratisation, but structures the way citizens relate to the state. While urban density facilitates collective accountability demands, the link between urbanisation and individual accountability relationships with the state is less straightforward. The reviewed evidence suggests that the force to reckon with is not the middle class, but rather the poor masses. It is not enough for governments to cater to the elites anymore, as the share of the urban poor becomes too large to ignore.
doi:10.18449/2022MTA-WP03