Ist Indien das neue China? Rivalitäten in der Entwicklungsfinanzierung in Afrika und anderen Regionen der Welt
Megatrends Spotlight 20, 09.01.2023Bei der Vergabe von Entwicklungsprojekten räumt Indien den Ländern Afrikas und Asiens eine Vorrangstellung ein. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Indien dazu neigt, Projekte in Regionen durchzuführen, in denen China seine Aktivitäten verstärkt hat. Dies scheint auf den wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den beiden aufstrebenden Schwellenländern zurückzuführen zu sein, schreiben Gerda Asmus (Universität Göttingen), Vera Z. Eichenauer (ETH Zürich), Andreas Fuchs (Universität Göttingen und IfW Kiel) und Bradley Parks (William & Mary) in diesem Megatrends Afrika Spotlight.
Die meisten afrikanischen Länder pflegen Beziehungen zu einer Vielzahl an Geberländern, nicht nur zur Gruppe westlicher Geber. Ein Beispiel dafür ist Äthiopien (siehe Abbildung 1), ein langjähriges Lieblingsland vieler Geberstaaten aus West und Ost. Mit chinesischen Krediten wurden dort zum Beispiel der Bau der ersten Eisenbahnakademie Afrikas und mehrerer äthiopischer Eisenbahnlinien unterstützt. Chinesische Auftragnehmer beaufsichtigten die Umsetzung weiterer Infrastrukturprojekte, die von Peking, aber auch von anderen Gebern wie der Weltbank finanziert wurden. Auch Indien ist einer der Geldgeber. Im Jahr 2013 gewährte die indische Export-Import Bank (Exim) beispielsweise ein Darlehen in Höhe von 300 Millionen US-Dollar zur Finanzierung einer Eisenbahnlinie von Asaita nach Tadjoura im benachbarten Dschibuti.
Äthiopien ist nur eines von vielen afrikanischen Ländern, das von der Entwicklungsfinanzierung östlicher Geber profitiert. Indiens Ambitionen auf dem afrikanischen Kontinent nehmen zu. So stellte Foreign Policy die Frage: "Ist Indien das neue China in Afrika?" Der ehemalige mosambikanische Minister Joaquim Tobias Dai argumentierte: "China und Indien kämpfen um Ressourcen in Afrika. [...] Die Chinesen wollen Gas fördern, aber die Inder wollen auch Gas fördern. Diese Art von Wettbewerb ist gut für uns." (Khare 2013).
Verschiedene Studien legen nahe, dass Indien und China mit Zuschüssen und vergünstigten Krediten um die Gunst der Entwicklungsländer in ihrer Nachbarschaft und in Subsahara-Afrika buhlen (Fuchs und Vadlamannati 2013; Dreher et al. 2019). Kragelund (2010) zufolge, nimmt Indien afrikanische Länder bereits seit den 1960er Jahren ins Visier, "als direkte Folge des Wettbewerbs mit China." Hart und Jones (2010, 73) stellten fest, dass "[i]m Vorfeld des 2005 World Summit, [...] China seinen finanziellen Einfluss nutzte, um viele afrikanische Staaten dazu zu bringen, sich gegen Indiens Bewerbung um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu stellen."
Es bleibt jedoch unklar, ob diese aufstrebenden Mächte Entwicklungsgelder und Kredite systematisch für strategische Rivalität einsetzen. Um diese Forschungslücke zu schließen, haben wir einen neuen Datensatz von 1.194 indischen Entwicklungsprojekten an 4.308 verschiedenen Standorten zwischen 2007 und 2014 erstellt und diesen mit Informationen über die Standorte chinesischer Entwicklungsprojekte ergänzt (Bluhm et al. 2020; Dreher et al. 2021).
In einem neuen Arbeitspapier (Asmus et al. 2021) untersuchen wir, inwiefern es einen Zusammenhang zwischen indischen und chinesischen Zuschüssen und Darlehen an Entwicklungsländer gibt. Wir vermuten, dass eher Indien den Maßnahmen Pekings folgt als umgekehrt, da Peking über ein wesentlich größeres Portfolio an Entwicklungsprojekten im Ausland verfügt (Asmus, Fuchs und Müller, 2020).
Indiens Motivation, Projekte an die Regionen zu vergeben, die kürzlich auch eine Projektzusage aus China erhalten haben, kann sowohl wirtschaftlicher als auch geopolitischer Natur sein. Daher haben wir das Vergabeverhalten des indischen Außenministeriums (MEA) und der eher wirtschaftlich ausgerichteten indischen Export-Import (Exim) Bank separat untersucht (siehe Abbildung 2). Innerhalb Afrikas erhalten Liberia, Ghana, Malawi, Mauritius und Mosambik die meisten indischen Projekte. Während das MEA eine größere Anzahl von Projekten unterstützt, leistet die Exim Bank die größere finanzielle Unterstützung (siehe Abbildung 2).
Unsere Analyse zeigt, dass die indische Exim Bank eher Projekte in jene Provinzen eines Partnerlandes vergeben, in denen die chinesische Regierung ihr finanzielles Engagement kürzlich erhöht hat (siehe Abbildung 3). Quantitativ gesehen verdoppelt der Erhalt eines neuen, von der chinesischen Regierung finanzierten Projekts die Wahrscheinlichkeit, dass eine Provinz im folgenden Jahr einen Kredit von der indischen Exim Bank erhält. Dies ist Evidenz für einen Wettbewerb auf subnationaler Ebene. Für einen Wettbewerb auf nationaler Ebene finden wir nur schwache Hinweise.
Unsere Ergebnisse bestätigen sich, wenn man den Logarithmus der Projektanzahl oder die gesamten jährlichen Finanzströme in eine Provinz untersucht. Wir zeigen außerdem, dass der positive Zusammenhang zwischen den Projekten der indischen Exim Bank und den chinesischen Projekten im Vorjahr eher eine Reaktion auf kommerziell orientierte Projekte der chinesischen Regierung ist, als auf öffentliche Entwicklungsgelder (ODA) aus China.
Wir finden jedoch keine Anzeichen dafür, dass Indiens Außenministerium im durchschnittlichen Empfängerland mit China konkurriert – nicht einmal als Reaktion auf Chinas stärker politisch orientierte Entwicklungsprojekte. Eine Ausnahme besteht jedoch dort, wo Neu-Delhi den größten Wert auf eigene Einflussnahme legen dürfte: in seiner südasiatischen Nachbarschaft.
Wir interpretieren diese Ergebnisse als Evidenz dafür, dass Indien mit China konkurriert, indem es Kredite über seine Exim Bank vergibt. Ein Vergleich mit Umfragedaten der Gallup World Poll unterstreicht das. Wir zeigen, dass die indische Exim Bank Entwicklungsprojekte als Antwort auf chinesische Projekte eher in Ländern erhöht, in denen sie beliebter im Vergleich zu China ist. Dieses Muster lässt sich nur schwer mit einer anderen Erklärung als Rivalität in Einklang bringen.
Der Wettbewerb scheint jedoch eher einseitig zu sein. Wir finden keine Evidenz dafür, dass Peking seine Entwicklungsaktivitäten verstärkt, wenn Indien neue Projekte in Ländern und Provinzen startet. Es gibt auch keine Anzeichen für eine Verdrängung chinesischer Entwicklungsprojekte als Reaktion auf neue indische Projektzusagen. Wir kommen daher zu dem Schluss, dass China die Entwicklungsfinanzierung nicht systematisch als Instrument des Wettbewerbs mit Indien einsetzt.
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Indien sich in erster Linie in einem wirtschaftlichen und nicht in einem geopolitischen Wettbewerb mit China in Empfängerländern sieht. Die indische Exim Bank reagiert auf neue chinesische Projekte mit vermehrten Projektzusagen in denselben Provinzen (und in geringerem Maße in anderen Teilen eines Partnerlandes). Im Gegensatz dazu scheinen die vom indischen Außenministerium bereitgestellten Entwicklungsgelder nicht auf die chinesischen Entwicklungsprojekte zu reagieren, außer in Südasien.
Wir stellen fest, dass Neu-Delhi insbesondere in jenen Ländern mit China wetteifert, in denen Indien im Vergleich zu China beliebter ist. Indien erhöht daher seine Ausgaben in den Ländern, in denen es Gefahr läuft, seine Vormachtstellung zu verlieren. Dies ist nicht überraschend. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass ein positives Image eines Landes den bilateralen Handel fördert (Disdier und Mayer 2007; Guiso, Sapienza und Zingales 2009; Rose 2019).
Offen bleibt die Frage, wie die Geber Entwicklungsgelder nutzen, um die öffentliche Meinung in Konkurrenzsituationen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Wirkung von Entwicklungsprojekte auf die öffentliche Meinung in Empfängerländern ist nicht eindeutig. Wie wir in Eichenauer, Fuchs und Brückner (2021) für Lateinamerika zeigen, sind die Auswirkungen der chinesischen Entwicklungsfinanzierung und anderer Wirtschaftsbeziehungen auf die öffentliche Wahrnehmung Chinas in der Bevölkerung heterogen. Beispielsweise führt die chinesische Entwicklungszusammenarbeit nicht zu einer positiveren Wahrnehmung Chinas bei der ärmeren Bevölkerung, was Fragen über die Wirksamkeit der chinesischen Entwicklungsprojekte aufwirft.
Rivalität ist aus entwicklungspolitischer Sicht nicht unbedingt schlecht. Wie wir am Beispiel des Geberlieblings Äthiopien gesehen haben, kann Wettbewerb zu mehr Entwicklungszusammenarbeit führen. Rivalität kann auch politischen Spielraum für die Entwicklungsländer schaffen, das kompetenteste Partnerland auszuwählen. Wettbewerb kann auch von Vorteil sein, wenn er die Geber dazu bringt, nach den besten Entwicklungslösungen und wirksameren Projekten und Programmen zu streben.
Gleichzeitig deuten empirische Studien darauf hin, dass der Effekt der Entwicklungszusammenarbeit auf das Wirtschaftswachstum reduziert wird, wenn ein Empfänger von besonderer strategischer Bedeutung für das Geberland ist (Kilby und Dreher 2010; Dreher, Eichenauer und Gehring 2018). Gründe, warum wir über die negativen Auswirkungen solcher Rivalitäten besorgt sein sollten, bleiben also bestehen.
Dieser Megatrends Afrika Spotlight-Beitrag basiert auf unserem früheren Artikel "Safeguarding Strategic Interests with Development Finance? The Indian Response to China's Expanding Footprint in the Global South", veröffentlicht bei Ideas for India.
Peking hat sich auf groß angelegte Infrastrukturprojekte spezialisiert, um die sich einige Kontroversen ranken. Debatten über die Vorteile chinesischer Investitionen versus der daraus resultierenden Staatsschulden sind in vollem Gange - besonders in Kenia, wo das Thema prominent im Wahlkampf diskutiert wurde.
doi:10.18449/2022MTA-KA03
Der Einfluss externer Akteure am Horn von Afrika wird meist anhand materieller Ressourcen festgemacht. Indiens Rolle in der Region aber stützt sich vorwiegend auf die nicht-materiellen Faktoren Erinnerungskultur und soziale Vernetzung. In unserem kürzlich im South African Journal of International Affairs erschienenen Artikel „Power, Status and Memory in Indo-African relations” widmen wir uns der Bedeutung dieser Faktoren für die Beziehungen zwischen Indien und Kenia.