Für eine gerechtere Partnerschaft:
Afrikanischer Zivilgesellschaft zuhören, postkolonial denken und handeln
blog Joint Futures 43, 05.02.2024Für die Weiterentwicklung der afrikapolitischen Leitlinien braucht es eine gründliche Bestandsaufnahme und ein offenes Ohr für die machtkritischen Positionen der afrikanischen Zivilgesellschaft. Dabei sind Demut, Offenheit im Dialog und die ernsthafte Auseinandersetzung mit postkolonialen Strukturen entscheidend. Nur so gelingt eine gerechtere Partnerschaft.
Die Bundesregierung richtet den Blick nach vorne und überarbeitet ihre afrikapolitischen Leitlinien. Dies ist angesichts der geopolitischen Umwälzungen sowie fortbestehender entwicklungs-, wirtschafts-, friedens- und klimapolitischer Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent folgerichtig. Die Frage lautet nun, welche inhaltlichen Schwerpunkte die Bundesregierung künftig setzt und inwiefern sie „bessere Angebote“ machen wird, wie von Christoph Retzlaff, Afrikabeauftragter der Bundesregierung, in seinem Blogbeitrag in Aussicht gestellt.
Misereor und Brot für die Welt empfehlen, künftig systematisch den Dialog mit Akteur*innen der afrikanischen Zivilgesellschaft zu suchen – und als festen Bestandteil der Zusammenarbeit zu etablieren. Um Deutschlands politisches Verhältnis zu den Menschen auf dem afrikanischen Kontinent und ihren Staaten weiterzuentwickeln und eine gerechtere Partnerschaft aufzubauen, bedarf es einer Auseinandersetzung mit Perspektiven und politischen Forderungen von Menschen aus afrikanischen Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, ländlichen Räumen, indigenen Bevölkerungsgruppen, Frauen- und Jugendnetzwerken, Gewerkschaften und Medien. Sie können helfen, eine ehrliche Bilanz der bisherigen Afrikapolitik zu ziehen, Fehler zu benennen und neue Wege der Zusammenarbeit aufzuzeigen, die den Menschen – und die Menschenrechte – in den Mittelpunkt stellen. Für Deutschlands Neuausrichtung gegenüber dem afrikanischen Kontinent braucht es ein offenes Ohr für die Belange aller Bevölkerungsteile – nicht nur der politischen und wirtschaftlichen Eliten eines Partnerlandes.
Eine postkoloniale, machtkritische und feministische Zusammenarbeit
Den Ergebnissen eines solchen Dialogs können und wollen wir nicht vorgreifen. Unsere Gespräche und Konsultationen mit lokalen Partner*innen – zum Compact with Africa, der Afrika-Strategie des BMZ oder in der Vorbereitung vergangener AU-EU-Gipfel – haben uns aber einige Schwerpunkte verdeutlicht, die unserer Meinung nach wesentlich stärker berücksichtigt werden sollten. Wir behaupten dabei nicht, dass die afrikanische Zivilgesellschaft immer mit einer Stimme auftritt, denn die Kontexte in den Ländern Afrikas sind vielschichtig und komplex. Sich ihnen anzunähern erfordert Demut, Offenheit und Sensibilität für die Grundzüge der europäischen Kolonialgeschichte. In Gesprächen und bei der gemeinsamen Arbeit mit afrikanischen Partner*innen fällt oft auf, dass das koloniale Erbe bis heute fortbesteht, nahezu jeden Politikbereich prägt und deshalb auch jenseits der Kulturpolitik einer gründlichen Aufarbeitung bedarf. Seit Jahren spricht sich manche afrikanische Menschenrechts- und soziale Bewegung lautstark gegen (post-)koloniale wirtschafts-, agrar-, energie- und sicherheitspolitische Kontinuitäten sowie die ihnen zugrundeliegenden politischen Vereinbarungen aus (Siehe u.a. folgende Erklärungen afrikanischer Zivilgesellschaft: Africa-Europe Week CSO Forum Outcome Document, Africa-EU Civil Society Forum Declaration, Déclaration Forum Citoyen Afrique Europe, African Civil Society Declaration on the African-European Union Partnership) Darunter verstehen Partner*innen meist das Fortleben von Machtdynamiken und Strukturelementen, die denen der Kolonialzeit ähneln und anhaltende Abhängigkeitsverhältnisse, Marginalisierung und Gewalt vor Ort ermöglichen. Ein wichtiger Schwerpunkt neuer deutscher Leitlinien sollte es daher sein, sich inhaltlich im Sinne einer macht- und strukturkritischen sowie feministischen Zusammenarbeit aufzustellen und sich – im aufrichtigen Dialog mit afrikanischer Zivilgesellschaft – aus kolonialen Politikmustern zu befreien.
Politische Beziehungen inklusiver gestalten
Auf der Ebene der politischen Zusammenarbeit beispielsweise fordern viele unserer Partnerorganisationen seit Jahren, dass Deutschland und seine europäischen Partner aufhören, allzu großzügig über menschenrechtliche und demokratische Defizite in afrikanischen Partnerländern hinwegzuschauen und autokratische Machthaber zu hofieren, wenn es geopolitischen Interessen dient (beispielsweise in Äthiopien, DR Kongo, Niger, Nigeria, Ruanda und Tunesien). Formell mögen manche dieser Machthaber zwar Wahlen gewonnen haben, aber sie können und wollen die Einhaltung menschenrechtlicher Standards sowie die breitenwirksame wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes nicht sicherstellen und werden von Teilen der Bevölkerung frustriert abgelehnt. Gleichzeitig muss die Bundesregierung akzeptieren, dass es in einigen Ländern (z.B. in der Sahelregion) breite gesellschaftliche Unterstützung für Regime gibt, die zwar nicht durch Wahlen legitimiert sind, aber dennoch die aus Sicht der Bevölkerung drängenden Probleme anzugehen versprechen.
Es braucht daher in allen Partnerländern engere Dialoge mit der Zivilgesellschaft (insbesondere mit Organisationen, die sich an vorderster Front gegen autokratische und ausbeuterische Tendenzen wehren), um dabei zu helfen, partizipative und gelebte Demokratie im Sinne der Bevölkerung zu fördern. Dies sollte als gemeinsamer Lernprozess verstanden werden. Kohärentes Engagement für Bürgerechte (wie Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit) gemäß der AU-Charta über Demokratie, Wahlen und Regierungsführung ist hierbei ebenso zentral wie die explizite Stärkung von Handlungsräumen für die Zivilgesellschaft sowie die Unterstützung demokratischer Institutionen und sozialer Grunddienste, vor allem in ländlichen Räumen.
Das Vorhaben Deutschlands, „afrikanischen Lösungen“ den Vorrang zu geben und die Emanzipation des Kontinents zu unterstützen, benötigt auch eine klare, ressortübergreifende Zielsetzung seitens der vielen Akteure in der deutschen Afrikapolitik (aus unterschiedlichen Politikfeldern wie Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Wirtschafts- und Migrationspolitik). Bisher wurden nicht immer die richtigen Angebote gemacht und zum Teil widersprüchliche Strategien verfolgt. Zum Beispiel weisen afrikanische Partnerorganisationen in der Sahelregion seit Jahren darauf hin, dass kostspielige militärische Ausbildungs- und Ausstattungsmissionen zur Terrorbekämpfung die tieferen Ursachen von Konflikten nicht beheben – insbesondere, wenn sie die Perspektiven der ländlichen Bevölkerung und eine konfliktsensible Vorgehensweise vor Ort unberücksichtigt lassen.
Wirtschaftliche Transformation fördern
Mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit sorgt aktuell der regelrechte Ansturm auf metallische Rohstoffe, Agrarressourcen, grüne Energien und Gas (symbolisiert beispielsweise durch die Africa-EU Green Energy Initiative sowie den G20 Compact with Africa) für viel Besorgnis. Dieser birgt das Risiko, die koloniale Arbeitsteilung (in der afrikanische Länder Rohstofflieferanten bleiben, während die Wertschöpfung außerhalb des Kontinents stattfindet) zu zementieren. Zwar weist offizielle deutsche Rhetorik mit ihrem Fokus auf lokale Verarbeitung und Arbeitsplätze in die richtige Richtung, doch es fehlen praktische Beispiele für die Ernsthaftigkeit dieser Aussagen. Daher wehren sich Bürger*innen im Kongo, Mosambik, Namibia und Senegal gegen Partnerschaftsmodelle, die primär dem Export von Bodenschätzen und Energie dienen und deren Hauptprofiteure lokale Machteliten sowie ausländische Unternehmen (die vor Ort kaum Steuern zahlen) sind. Zurecht fordern sie, den Fokus auf menschenwürdige Beschäftigung und lokale Energieversorgung zu legen und sicherzustellen, dass neue Großprojekte keine negativen Auswirkungen auf die Landrechte und Ernährungssicherheit lokaler Gemeinden haben.
Auch Deutschland kommt hier eine Verantwortung zu. Seinem wirtschaftspolitischen „Angebot“ fehlt – noch – ein nachweisliches Interesse an der breitenwirksamen Minderung von Armut, der Schaffung lokaler Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte, und der Abkehr von traditionell problematischen Wirtschaftszweigen (vor allem dem Extraktivismus fossiler Energien und metallischer Rohstoffe sowie der industriellen Agrarproduktion). Die Africa Mining Vision bietet in diesem Zusammenhang wichtige Ansatzpunkte für eine bessere Politikgestaltung. Auch kommt die Verhinderung und Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch deutsche Wirtschaftsaktivitäten bisher deutlich zu kurz – wie zuletzt u.a. im Falle von BMW und seiner Zulieferer dokumentiert. Hier herrscht großer Handlungsbedarf und Potential, gerade im Hinblick auf das kommende EU-Lieferkettengesetz und UN-Abkommen zu Transnationalen Konzernen und Sonstigen Unternehmen.
Klimaschutz und Landwirtschaft armutsorientierter gestalten
Nicht länger zu verantworten ist auch die anhaltende Förderung und Abnahme fossiler Energieträger (beispielsweise Erdgas aus Nigeria und Senegal) bei gleichzeitiger Ausweitung von klimapolitischen Scheinlösungen wie z.B. Kohlenstoffmärkten, da der afrikanische Kontinent proportional bereits jetzt am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leidet. Hier braucht es eine klarere Haltung Deutschlands, die den Forderungen vulnerabler Bevölkerungsgruppen stärker Rechnung trägt (beispielsweise bezüglich der Umleitung von Finanzströmen hin zu sauberer Stromversorgung, einer einfacheren Finanzierung lokaler Anpassungsmaßnahmen und dem Schutz von Landrechten). Auch bereits gemachte Zusagen und Selbstverpflichtungen bei der Emissionsminderung müssen eingehalten werden.
Nicht zuletzt weisen manche unserer landwirtschaftlichen Partnerorganisationen regelmäßig darauf hin, dass Fördermaßnahmen für die europäische, industrialisierte und technisierte Agrarwirtschaft bei minimaler Fokussierung auf nachhaltige Landwirtschafts- und Ernährungsansätze vor Ort (wie die Agrarökologie) die Entwicklung der lokalen Wirtschaft und des Klimaschutzes behindern. Die Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, Fischerei und Viehzucht sowie ihres strukturellen Umfeldes trägt dagegen nachweislich dazu bei, Ernährungssicherheit und -souveränität zu stärken und ländliche Gemeinden unabhängiger von Nahrungsmittelimporten (und somit auch globalen Krisen) zu machen.
Man könnte die Liste reformbedürftiger Politikansätze weiterführen; dies entnehmen wir dem kontinuierlichen Austausch mit unseren Partner*innen vor Ort. Die Weiterentwicklung der afrikapolitischen Leitlinien sollte daher den Beginn eines transparenten, inklusiven und anhaltenden Dialog- und Lernprozesses markieren. Das Ziel dabei sollte sein, die diversen Akteur*innen der afrikanischen Zivilgesellschaft ernsthaft und systematisch in die deutsche Afrikapolitik einzubinden, um sich künftig stärker an lokalen Perspektiven zu orientieren, Solidarität in der Bewältigung von Krisen zu zeigen und bestehende Machtasymmetrien abzubauen. Denn nur eine inklusive Zusammenarbeit ist auch wirklich ein „besseres Angebot“.
Carsten Bockemühl ist Referent für Afrikapolitik bei Misereor. Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Helle Dossing, Imke Tiemann-Middleton, Anja Esch (Brot für die Welt) sowie Maria Klatte, Peter Meiwald (Misereor).
Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.
Meike Schulze und Melanie Müller argumentieren in diesem Joint Futures Beitrag, dass die Bundesregierung eine nachhaltige Rohstoffaußenpolitik gegenüber Afrika gestalten sollte, die das Ziel hat, langfristige industrielle Partnerschaften aufzubauen.
Military coups in Africa are on the rise again. The trend is being driven by acute political crises, traditionally politicized militaries and self-reinforcing regional dynamics. German and European policy should address the root causes, and the West should avoid short-sighted geopolitics and revise its Africa policy. Importantly, instruments should be tailored according to local needs.